In leuchtendem Rot winken sie mir. Die Hagebutten, die Vogelbeeren, die Weißdornbeeren … ich folge ihrem Wink, pflücke und zerkaue sie. Die einen mitsamt Kernen, die anderen ohne. Die einen sind ein Geschmacksfeuerwerk aus Bitter, Sauer und Süß, die anderen … naja, nur gesund.
Ich erinnere mich an den Tag, als ich meine erste Hagebutte vom Strauch gegessen habe. Ich war im Grundschulalter, meine Eltern und ich gingen mit einer befreundeten Familie spazieren. Zuhause gab es bei uns oft Hagebuttenmarmelade. Vom Supermarkt natürlich, nicht selbstgemacht. Und dann sah ich da in der Hecke am Waldrand dieselbe Frucht, wie sie auf den Marmeladengläsern abgebildet war. „Das ist eine Hagebutte, gell?“ Meine Mutter nickte. Die Erwachsenen spazierten weiter, wir Kinder blieben stehen, fasziniert von dem Strauch. Ich pflückte eine der rot leuchtenden Früchte, biß hinein. Sie schmeckte leicht säuerlich, aber vor allem hatte ich den Mund voller harter Kernchen. Das andere Mädchen verfolgte aufmerksam und mit großen Augen, wie ich darauf herumkaute. „Kann man die essen?“ Ich war die Ältere von uns beiden und kam mir sehr schlau vor. Also sagte ich: „Ja, das ist eine Hagebutte. Kann man essen!“ Schnurstracks riss meine kleine Freundin eine ab, wollte hineinbeißen und überlegte es sich dann doch anders. Sie rannte zu ihren Eltern und zeigte ihnen die Frucht. Was dann folgte, war ein Donnerwetter. Wie ich darauf käme, dass man die essen könne?! „Weg damit, wirf sie weg!“, riefen die Erwachsenen alarmiert – einschließlich meiner Eltern. „Ja, aber das ist doch … das ist doch eine Hagebutte“, stammelte ich entgeistert.
Es war eine Hagebutte.
Heute weiß ich, dass sie nicht giftig ist. Genauso wenig wie die feurigen Früchte der Eberesche oder die tiefroten Beeren des Weißdorns. Im Gegenteil, all diese Früchte sind absolute Vitalbomben. Das Fleisch von Hagebutten und Vogelbeeren ist so reich an Vitamin C wie sonst selten eine Frucht. Selbst Orangen übertreffen sie damit um bis zu dem Zehnfachen. Das Vitamin C der Hagebutte bleibt beim Kochen fast vollständig erhalten, weil die Enzyme und Fruchtsäuren es schützen. Außerdem stecken noch unzählige weitere Vitamine, viele Pektine (gut für die Verdauung) und Mineralstoffe drin. Und auch die Kerne der Hagebutte muss man nicht ausspucken, denn sie enthalten wertvolle Kieselsäure, die Haut, Haaren und Nägeln gut tut. Einzig die Härchen zwischen Kernen und Fruchtfleisch könnten zum Ärgernis werden, da sie die Haut reizen und zu unangenehmem Jucken führen. Bei der Vogelbeere sollte man tatsächlich nicht zu viele Beeren roh essen, da die Parasorbinsäure Magenprobleme verursachen kann. Beim Kochen wird die Säure abgebaut, während das Vitamin C zu zwei Dritteln erhalten bleibt. Ein gekochtes Mus aus Vogelbeeren mit Apfel gemischt ist meine absolute Lieblingsmarmelade im Herbst und hat mich schon vor vielen Erkältungen bewahrt! Bei den Weißdornbeeren habe ich es ebenfalls einmal mit Marmelade versucht, doch die schmeckt selbst mit Hagebutte gemischt so fade mehlig, dass ich die getrockneten Beeren inzwischen nurmehr als herzstärkenden Tee verwende.
Warum aber hält sich das Gerücht über die Giftigkeit dieser Beeren so hartnäckig? Genauso wie übrigens bei sehr vielen anderen Pflanzen, die ich übers Jahr hinweg sammle und esse und damit noch nie jemanden damit vergiftet oder gar zu Tode gebracht habe. Auch wenn ich völlig harmlose Wiesenkräuter pflücke, bekomme ich oft Warnungen vor dem Fuchsbandwurm zugerufen.
Vermutlich sollen wir uns einfach nicht selbst helfen können. Also: Natürlich schon, aber nur mit tausenderlei teuren Nahrungsergänzungsmitteln aus dem Reformhaus und der Apotheke. Aber nicht mit Mitteln, die uns Mutter Natur zur passenden Zeit einfach so vor die Nase hält. Kostenlos! Ich glaube, manchen wäre es lieber, wir würden die Natur um uns herum weiterhin für giftig und schmutzig halten. Damit sie weiter an uns verdienen und uns vergiften können. Mit ihrer Chemie oder auch einfach nur mit ihrer Art zu denken.
Rezept
aus dem Buch „Wilde Beeren, Früchte und Wurzeln“ von Usch von der Winden, Edition Fackelträger
Vogelbeer-Apfel-Marmelade
Zutaten
- 600 g Vogelbeeren von der Eberesche
- 300 g Äpfel
- 300 g Gelierzucker
- 1 TL Zimt
- 1 Messerspitze Nelken gemahlen
- 4 cl Birnenbrand
Zubereitung
Die Vogelbeeren von den Stielen befreien, waschen und mit einem Kartoffelstampfer zerdrücken. Die Äpfel entkernen und kleinschneiden (Schale dranlassen, denn sie enthält Pektin und verfestigt damit das Mus).
Vogelbeeren, Äpfel und Gewürze in einen Kochtopf geben und mit dem Gelierzucker verrühren. Unter ständigem Rühren für einige Minuten aufkochen lassen. Zum Schluss einen Schuss Birnenbrand hinzufügen und unterrühren – das gibt den besonderen Kick.
Die Marmelade heiß in saubere Gläser füllen, Deckel draufschrauben und kopfüber auskühlen lassen. Täglich ein Löffel von dem Mus wirkt Wunder gegen aufkommende Erkältungen.
Autorin: Dagmar Steigenberger
Fotos: Dagmar Steigenberger, Annette Roemer
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Wie oft schockierte meine Tochter ihre Umgebung, weil sie (kennt und) isst, was am Wegrand steht.
Zum Glück vertrauen mir die anderen Eltern mittlerweilen und lassen es zu, dass ihre Kinder mich fragen und sich durch Wiesen und Büsche futtern.
Ich hoffe sie wiederum werden es eines Tages ihren Kindern weitergeben
An ein solches Ereignis kann ich mich auch erinnern, als meine Tochter lustvoll in ein Bündel Giersch gebissen hat und ein anderes Mädchen sie zu Tode erschrocken musterte, als würde sie jetzt gleich tot umfallen müssen. Na, meine Eltern hab ich immerhin mittlerweile soweit, dass sie brav alles essen, was ich ihnen zu Immunzwecken so serviere!