Keine Ahnung

Es sind die großen Manteltaschen, die mich einfach nicht loslassen. Aber ist das nicht ein „alter Hut“? Darüber wurde schon so oft geschrieben. Ich möchte doch etwas Neues finden. Etwas wild Sprießendes – passend zum Frühling. Also bereise und durchstöbere ich mein Geschichtenland. Der Wal hätte etwas Tiefschürfendes zu bieten, die Schlange kennt Häutungsrituale, die Wilde Frau trägt schon im Frühjahr ein knallrotes Kleid, die Balancetänzerin ist erschöpft …

Doch kein einziger Faden läßt sich weiterspinnen. Nichts geht über ein paar Sätze hinaus. Und immer noch sehe ich nicht, um was es eigentlich geht.

Die Sehnsucht nach meinem Mantel, diesem bunten Lebensmantel, wird immer größer. Meine Hände möchten in seine großen Taschen abtauchen und einfach nur sein und zur Ruhe kommen. Meine inneren Fragezeichen geben auf.

Und dann ist es wie immer.

Ein vertrautes und warmes Nachhause-Kommen. Dieser Mantel ist mit mir gewachsen. Ich mit ihm. Er hat mir gezeigt, wie Fliegen geht. Und, daß Scheitern die Wilde Seele nährt. In seinen Taschen fand ich die Freiheit, wählen zu können. Und, daß Mitgefühl niemanden retten will. Ebenso die Kostbarkeit des Unperfekten. Und dann natürlich all die Steine, Knöchelchen, Harzklumpen, Kräuter, Schnüre … Schwellenschätze.

Und so bin ich voller Erwartung, das alles vorzufinden.

Nicht sofort spüre ich es. Vermutlich ist es nur eine Täuschung. Hoffentlich. Doch ganz langsam erreicht mich das Unausweichliche.

Die Manteltaschen sind leer!

Mein Kopf versucht sofort gegenzusteuern: das kann nicht sein; sie sind nicht wirklich leer; vielleicht habe ich etwas falsch gemacht; ich probiere es nochmal … morgen oder so.

Aber das geht nicht!

Es trifft mich so sehr. Tränen kommen und ich weiß überhaupt nicht mehr weiter. Wo hakt es denn? Was ist mit mir nur los? Schreibblockade? Habe ich mir eine Mantelheimat ersehnt, die es noch gar nie gegeben hat?

Alles purzelt durcheinander und ich will einfach nur weg.

Eine Rabenkrähe landet auf dem Balkongeländer. Das passt mir gerade überhaupt nicht und ich schaue sie auch nicht an. Trotzdem provoziert es mich zusehends, wie sie einfach so dahockt. Und sie soll gefälligst ihren Schnabel halten. Tut sie nicht. Jetzt schon gar nicht:

Hey, du Möchte-gern-Schreiberin – ein Faden ist ein Faden!

Ich schaue sie an. Und schon ist sie weg.

Und ich bin wieder drin, in meinen leeren Manteltaschen. Aufgewühlt und wachgerüttelt. Was soll das heißen, ein Faden ist ein Faden? Ich komme mir vor wie in einem Rätsel. Und dann macht es klick. Es ist wie in jedem Märchen – wie in so mancher Geschichte. Das eigentliche Drama kündigt sich bereits in den ersten Sätzen an. Bestürzt sehe ich, was ich nicht sehen wollte. Und wie alles seinen Anfang nahm.

Der „alte Hut“ ist die Schnittstelle. Er ist es, der den roten Faden sofort aufspürt. Er wird zum Spiegel für mich.

Und schon tauchen sie auf. Ich kenne sie alle. Vorlaut, störrisch und kampferprobt sind sie. Mitunter geschickt getarnt und durchaus auch sehr überzeugend. Mit allen Wassern sind sie gewaschen. In peinliche und beschämende Situationen haben Sie mich schon gebracht:
Meine Erwartungen! 

Immer wieder habe ich sie an mich. Immer noch.

In diesem Fall ist es mein Anspruch, eine tolle Geschichte schreiben zu wollen. Nicht zu fassen. Das ist so ziemlich das Gegenteil von Frühling.

Ich nehme die Hände aus den Taschen und sitze einfach nur da.

Die erschöpfte Balancetänzerin kommt mir in den Sinn. Flügel wünsche ich ihr. Ein rotes Kleid wäre jetzt auch nicht schlecht. Das quietschgrün wird, wenn ich kurz davor bin, in verführerische Fallen zu tappen. Schön wär‘s. Die Manteltaschen halten sich raus. Sehr klug von ihnen.

Ein Kojote schlendert vorbei. Und jetzt???

Keine Ahnung!

Er schmunzelt: Das ist die beste Medizin – forever.
Er trabt weiter und dreht sich noch mal um. Das macht er immer so. Er liebt den doppelten Abgang. Überhaupt jede Art von Bühne.

Theatralisch wirft er seinen Kopf nach oben:
Schneeglöckchen lesen übrigens keinen Wetterbericht!

Mein bunter Mantel pfeift fröhlich vor sich hin. Jetzt haben wir ja doch noch eine hübsche Frühlingsgeschichte geschrieben. Gell?

Autorin: Christine Kostritza
Schichtbild: Annette Roemer, Efes und Prawny auf Pixabay

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