Am Anfang ist das Feuer

Der Ursprung der Rituale ... Feuer!

Ich erinnere mich an den Moment, als meine erste selbst entzündete Flamme aus dem Reisig loderte. Nicht etwa mit einem Streichholz – das kann ja heutzutage jedes Kind – nein, mit einem archaischen Werkzeug namens Bowdrill hatte ich es entfacht: Es besteht aus einem gebogenen Ast, einer Schnur und einer Holzspindel, die man mittels Bogen schnell und ausdauernd in ein Brettchen dreht, sodass ein qualmendes Glutnest entsteht. So anstrengend, wie es klingt, ist es auch. Mit Werkzeugen wie diesem haben die ersten Menschen vor zigtausenden Jahren das Feuermachen gelernt. Sie müssen sich damals ähnlich gefühlt haben wie ich: überströmend vor Glück und Stolz!

Feuer zählt neben Wasser und Nahrung zu den drei elementaren Dingen, um den Winter in unseren Breitengraden zu überleben. Im Spätherbst, wenn kalte Nebelschwaden durch Mark und Bein kriechen und die Klamotten nach einem Tag im Freien klamm am Körper hängen, kann ich die wärmenden Flammen gar nicht genug wertschätzen. Sämtliche traditionelle Feste gerade zur dunklen Jahreszeit drehen sich ums Feuer: angefangen vom Laternenumzug zu Sankt Martin über die Kerzen am Adventskranz und die Luzlfrau mit ihrer Lichterkrone am 13. Dezember, das Sonnwendfeuer in der Thomasnacht und den leuchtenden Christbaum, die Heiligen Drei Könige mit ihrem leitenden Stern bis hin zur Lichtmessfeier am 2. Februar, mit der die Weihnachtszeit zu Ende geht.

Wie das früher wohl war, vor vielen hundert oder sogar tausend Jahren, als die Menschen weder Heizung noch Glühbirnen hatten? Die Sonne sinkt tiefer und tiefer, Kälte und Dunkelheit halten die Menschen im eisernen Griff. Vor allem die Schwachen unter ihnen leiden. Kinder, Alte und Kranke drohen zu sterben. Ob die Sonne wohl jemals wiederkehrt? Medizinmänner und -frauen, Zauberkräftige und Druiden halten Rituale ab, in denen sie das Feuer als Symbol der Sonnenkraft beschwören. „Wenn die Sonne uns erhört, wird sie umkehren“, versprechen sie den Leuten. Die Weisen vertrauen auf ihre Beobachtungen; darauf, dass es bisher noch jedes Jahr so passiert ist. An einem gewissen Punkt wird die Sonne umkehren. Wann dieser Wendepunkt erreicht ist, das erkennen sie an monumentalen Kalendern in der Natur. Stonehenge ist so ein Beispiel, Pömmelte bei Halle an der Saale ist ein weiteres. Hier am Rande der Alpen mussten diese Sonnwend-Kalender nicht erst mühsam in die Landschaft gebaut werden. Hier bietet der Horizont von Natur aus markante Zacken und Gipfel, an denen man die Bahnhöhe der Sonne bei ihren Auf- und Untergängen messen kann. Vom Taubenberg aus ist der Wendelstein ein solcher Wendepunkt, hinter dem die Sonne exakt zur Wintersonnwende aufgeht. Ob der wuchtige Felsbrocken deshalb so heißt? Egal, jedenfalls bietet der Taubenberg perfekte Voraussetzungen zum Erleben dieses Naturspektakels.

Ich stelle mir vor, wie Hunderte von Menschen, zitternd vor Aufregung und Kälte, sich dort zur Wintersonnwende um ein riesiges Feuer versammeln und beten. Kinder quengeln, Nahrung wird geteilt, Geschichten werden erzählt und sonnenkräftige Heilkräuter ausgetauscht. Hin und wieder holt jemand Wassernachschub von der nahen Quelle. Morgen für Morgen blickt die Gruppe voller Spannung zum Sonnenaufgang hinterm Wendelstein. Nach ein paar Tagen haben sie Gewissheit: Die Sonne hat innegehalten, ja sie steigt nun sogar wieder ganz minimal an auf ihrer täglichen Himmelsbahn. Sie hat die Gebete erhört!

Heute sind Wärme, Licht und Feuer nichts Besonderes mehr. Überall auf der Welt lodern vom Menschen gemachte Feuer, egal zu welcher Jahreszeit. In Brasilien wird der Regenwald brandgerodet, in Russland brennt das Gas, das man nicht verkaufen kann. Bei uns verbrennt der Müll und in großen Schmelztiegeln glüht das Eisen, bevor es verarbeitet wird. Längst nicht alle Feuer dienen dem Leben, viele zerstören es eher. Der Respekt vor der Kraft der göttlichen Flamme ist heutzutage fast erloschen. Rituale helfen, ihn wieder zu entzünden.

Autorin und Fotos: Dagmar Steigenberger

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Christine

    Hallo Dagmar, die Magie des Feuers und der Respekt vor seiner Kraft ist sehr lebendig von dir geschrieben. Ich liebe deine genaue Recherche und deine Fähigkeit einen Bogen zu finden zu unserem Leben. Zu unseren Ritualen.
    Wildsaustark !