Und jetzt?

Jetzt. und jetzt?

Jetzt grad liege ich unter dem Gemmenalphorn beim duftenden Wachholder. Ein Nickerchen schleicht sich an, denn die Sonne dieser letzten Oktobertage wärmt mich sanft. Aber die Sonne lockt auch das ätherische Öl aus dem Wachholder. Dieses schleicht mir in die Nase und hält mich wach.

Und jetzt?

Jaja, Wikipedia meint Wachholder und wachhalten, das sei volksetymologisch und leite sich nicht wirklich vom Wortstamm ab. Dennoch: Wachholder ist Ahnenkraut. Es hilft, die Verbindung mit den Ahnen wach zu halten.

Ich räuchere gern und viel Wachholder. Nicht nur um den 1. November herum. Aber auch. Am 1. November gedenken wir unseren Toten, die dieses Jahr verstorben sind. Gemeinsam mit den Hiergebliebenen, deren Trauer noch frisch ist und deren Wunde schmerzt, räuchere ich Wachholder.

Und gemeinsam gedenken wir auch unseren Ahnen. Auch wenn sie schon lange gegangen sind, nehme ich sie wahr im grossen Feld, wie sie hinter mir stehen und mir den Rücken stärken. O Ma Naturesa, danke für diesen stachligen, duftenden Strauch und seine schwarzen Beeren!

Vor sieben Jahren habe ich vier Figurenpaare modelliert. Nicht sehr gross, vielleicht nur 30 cm. Alle aus dem gleichen dunkelroten, eisenhaltigen Ton. Von jedem Paar habe ich jeweils eine Figur feucht eingepackt und die andere trocknen lassen und gebrannt. Mit dem vielen Eisen im Ton sind diese Figuren schwarz aus dem Ofen gekommen.
Die noch feuchte, rote Figur konnte sich der schwarzen, gebrannten Figur wieder anschmiegen. So hab ich diese vier Figurenpaare der Natur geschenkt.

Das Wetter hat weitergestaltet: Ich habe erwartet, dass ich gerne zuschaue, wie die rote Figur, die nicht gebrannt worden ist, sich wieder auflöst, sich entformt, verfällt, wie der Regen sie aufweicht, wie das Eis in die Spalten dringt, wie am Schluss nur noch ein kleiner Haufen Matsch da sein wird…
Und beim Fotografieren übers Jahr habe ich gemerkt: Es ist noch spannender, zu beobachten, wie die schwarze Figur, die bleibt, durchs Jahr geht, im Regen, im Reif, im Schnee, im Eis immer wieder neuen Herausforderungen begegnet – und je nach der Perspektive und je nach Lichtverhältnissen hat mir die schwarze Figur jedes Mal ein anderes Gesicht gezeigt.

Umarmt der Liebende die Leere?
Sind die Tränen jetzt Schneesterne?
Wohin richtet der Alte seinen Blick ohne seine Frau?
Hält die Mutter die Wolke?

So habe ich diese Sterbens- und Trauerprozesse fotografisch festgehalten. Aus diesen Fotos habe ich Geschichten zusammengestellt. Und mit diesen Fotogeschichten ist ein Buch gedruckt worden, ein leises Bilderbuch. Es ist im Hospiz Verlag in Esslingen erschienen mit dem Titel: „Jetzt. und jetzt?“

Das Buch gibt es im Spinnerinnen Shop zu kaufen.

Magst du ihn schauen, den Tod? Und auch die Trauer? Und den Trost? – Wir freuen uns, wenn das Buch in dieser Zeit, wenn wir unserer Toten gedenken, den Weg findet zu dir!

O Mae Naturesa: Danke für den duftenden Wachholder, den ich jetzt grad räuchere!

Und auch: Danke fürs Weitergestalten!
Ich habe dir einen Impuls gegeben mit meinen zwei Figuren. Und ich staune, was du mir zeigst! Wie du es mir zeigst! Wie schön du mir das zeigen kannst – viel schöner, als ich es mir hätte ausmalen können!
Wie der Tod und auch die Trauer in dir ihren Platz haben und sich mir zeigen, immer wieder neu und verwandelt!

Wie dir Zyklisches gelingt!

Text und Fotos: ReGUla Kaeser-Bonanomi

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  • Beitrags-Kategorie:Magazin
  • Lesedauer:5 min Lesezeit
  • Beitrags-Kommentare:Ein Kommentar

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Christine Kostritza

    Dein Text und deine Fotos hüllen mich ein, wie in eine warme Decke. Das Ende, das kein Ende ist und der Verlust, der sich dem Wacholder anvertraut. Vielen Dank, BrückenGestalterin !