Die Einladung

Sie hat sie sofort mit 4 Nadeln ans Brett gepinnt. Nicht, dass sie aus Versehen wegflattert oder zum Kritzeln einer schnellen Notiz benutzt wird. Denn ohne diese Einladung würde man sie nie und nimmer reinlassen. Schon beginnt sie an ihrem Entschluss zu zweifeln. Vermutlich ist das Ganze sowieso ein Versehen, ein Aktualisierungsfehler oder … ein Ruf???

Sie durchwühlt ihren Kleiderschrank. Wo ist ihre Kittelschürze, sie war doch immer da hinten in der grauen Schachtel – ah, da ist sie ja. Erstaunt und unerwartet berührt befühlt sie den Stoff. Vor langer Zeit hat sie diese Kittelschürze genäht, die Stoffe sorgfältig ausgewählt und auch von den Knöpfen hat sie sich finden lassen. Ganz wichtig war die Naht für die zwei großen Schürzentaschen. Damals war ihr die Kittelschürze viel zu groß – doch das war die Absicht. Hineinwachsen sollte sie, sich Zeit lassen.

Sie passt. Zum Glück. Mehr ist den Knöpfen auch nicht zuzumuten.

So jetzt fehlt nur noch … sicher in einer der vielen Schubladen. Anfangs noch zuversichtlich wird sie zunehmend hektischer. Einst vorhandene und großzügig gewählte Schubladenthemen vermischen sich bald zu einem wilden Knäuel auf dem Fußboden. Nein, sie ist nicht da.

Wo ist sie, diese verflixte rote Nase?

Krampfhaft versucht sie sich zu erinnern – doch es ist einfach alles zu lange her. Ohne diese Einladung hätte sie den Verlust nicht einmal bemerkt!

Verwirrt, traurig und erschöpft lässt sie sich fallen. Liegt mitten in ihrem Schubladen-Chaos und weiß überhaupt nicht weiter. – Was soll ausgerechnet sie auf einem Schamaninnen-Kongress? Der erste überhaupt im deutschsprachigen Raum.

Die Augen fallen ihr zu und flugs gehen sie ans Werk, die Schubladen-Erinner-Hüterinnen.

Eigentlich wäre sie nämlich auch gerne ein richtige Schamanin geworden, so eine mächtige, imposante, verehrte und überaus kluge Erscheinung. Erwählt von einem alten Volk. Alle haben auf sie gewartet. Schon längst hat es sich gezeigt in ihrer äußerst schweren und entbehrungsreichen Kindheit. Sie sieht sich im wilden Galopp über die Steppe reiten. Sie kennt jedes Kraut und seine Wirkung. Sie spricht mit den Steinen, den Wolken, den Tieren – einfach mit Allen und Allem.

In ihrer Trance malt sie heilende Runen in die Asche, singt kehlige Laute und geheime Lieder, vertraut ihrer Trommel – auch sie wunderschön – und ihren mächtigen Spirits. Ja, so eine Heilerin, eine Schamanin, das wäre es halt gewesen!

Doch ihr Ruf fand seine Heimat ganz woanders. Im schamanischen Putz-Clan. Mit Kittelschürze und roter Nase. Und ohne Trommel.

Die Ausbildung dauerte ungewöhnlich lange. Es gab einfach sehr, sehr unterschiedliche Putztechniken. Nach einer Extraktion zum Beispiel war die Luft angefüllt mir wildkreischenden Wortgespinsten. Da mussten sie mindestens zu dritt sein. Nicht weniger aufwendig war es nach Seeelen-Rückhol-Sessions. Danach lagerte haufenweise klebriger Angstschweiß auf den Fensterbrettern. Ausgerechnet dort.

Das Beste war jedoch, wenn sie danach alle ums Feuer saßen. In der einen Kitteltasche würziger Tabak, in der anderen eine Flasche Selbstgebrannter. Die wildesten Geschichten wurden erzählt: aus dem Stegreif erfundene, ausgeschmückt mit Flunkereien, prahlerisch und rotzfrech, durchaus schlüpfrig und pikant, kühner Wortwitz und schallendes Gelächter. Dazwischen immer mal wieder eine Selbstgedrehte und ein kräftiger Schluck Schnaps. Das Feuer loderte die ganze Nacht. Herrlich. Der schamanische Putz-Clan hatte mal wieder ganze Arbeit geleistet.

Sie schreckt hoch – wo ist die rote Nase?

Ein Kojote sitzt in der Ecke und schaut sie grinsend an. Der Schalk blitzt aus seinen Augen.

„Und? Ausgeträumt? Oder brauchst du noch eine Runde?“

Dann stolziert er durch das Zimmer, die Kojotenschnauze frech nach oben gestreckt. „Ich bin übrigens der weltklügste, der weltschönste, der weltmächtigste und der welt-gefürchtetste Kojote, den es je gegeben hat und je geben wird!“

Wir schauen uns an – grinsen spiegelklar und schon brechen wir in schallendes Gelächter aus. Wir erfinden die tollsten Superlative, spielen mit entfesselter Macht und höllischem Einfluss. Nach Luft japsend, kommen wir nur langsam zur Ruhe.

„Es kommen übrigens viele von deinem Clan. Ohne Einladung – so wie früher. Es ist absolut höchste Zeit für haarsträubende Geschichten, Gelächter … du weißt schon, was ich meine.“

Leise vor sich hin glucksend verschwindet er.

In der Ecke liegt sie doch tatsächlich, die rote Nase.

Autorin: Christine Kostritza
Fotos: Spinnerinnen, Hans Toom auf Pixabay

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