Sonnenschein-Nöl-Grundel

Über halbvolle Weingläser und Allmachtsphantasien

Neulich war ich genervt, aber so richtig. Ich hatte eine Verabredung und kam zu spät, weil ich zuhause noch ein paar Konflikte austragen musste. Für jedermann sichtbar war ich gehetzt und sauer.

Zack legte sich ein Arm um meine Schulter, noch bevor ich etwas gesagt hatte. Der fremde Arm eines fremden Menschen, der mich offensichtlich besser kannte als ich mich selbst und der scheinbar die Stunden davor heimlich hinter meiner Couch gesessen und die ganze Situation miterlebt hatte.
«Du musst das poooooositiv sehen», zeigte sich die Fratze der toxischen Positivität und ich hätte ihr am liebsten ihr halbvolles- (und nicht halbleeres!) Weinglas ins Gesicht geschmissen.

Woher nehmen sich Menschen das Recht, anderen ihren Positivitätswahn ungefragt und ungebeten um die Ohren zu hauen? Ich finde das grenzverletzend und es hebt meine Laune in keinster Weise.
Nach dem Tod meiner Tochter meinte jemand zu mir, dass das passiert sei, weil ich zu «negativ gedacht» hätte. (Hilflosigkeit, ich weiss, anderes Thema) – Ja. Ich bin kein Sonnenschein, ja, ich neige dazu, Dinge masslos zu zerdenken, ja, ich bin die Königin der worst case Szenarien und irre gut darin, die Szenarien bis ins Detail auszumalen.

In Anbetracht dessen, dass meine Gedanken sogar den Tod heraufbeschwören können, würde ich mich gar als Göttin bezeichnen. – Göttin des Grauens und der Verderbnis, klingt gut, nehm ich, man reiche mir die schwarzen Flügel, mit etwas Goldglimmer bitte.

Woher, frage ich mich immer wieder, nehmen wir uns das Recht, jemandem sagen zu wollen, wir er denken oder fühlen soll? Und wie oft wird «du hast falsch gedacht» dazu eingesetzt, jemandem «subtil» die «Schuld» an seiner Situation zu geben?

Zu oft war ich in der Sterbebegleitung genau damit konfrontiert: dass Menschen das Gefühl gegeben wurde, sie seien selbst dafür verantwortlich, dass sie sich nun in Palliativpflege befinden und nicht über Sonnenblumenfelder tanzen.

Sie waren dafür verantwortlich, weil sie «zu wenig positiv waren» oder «falsch gedacht hatten».

Ja, hätten sie richtig gedacht, dann hätten all die kleinen Metastasen gefunden: «Hoppla, da ist ein positives Licht, RÜCKZUUUUUG! WEG Leute, WEG!»

Ich glaube daran, das Gute in Situationen zu sehen, ich glaube begrenzt auch an sich selbst erfüllende Prophezeiungen. (Wenn ich meinem Partner nur lange genug dramatisch eine Affäre unterstelle, dann ist es gut möglich, dass er irgendwann tatsächlich das Weite sucht, nicht aber, weil ich recht gehabt hätte, sondern weil ich durch mein Verhalten die Vertrauensebene nachhaltig sabotiert habe – nur als Beispiel.) Ich finde halbvolle Gläser wunderbar und ich denke auch, dass es sich heilsam auf unser ganzes System auswirkt, wenn wir es schaffen, in der Ruhe zu bleiben und unseren Körper vor Cortisol- und Adrenalinausschlägen verschonen.

Ich glaube aber auch – obacht, jetzt wird es für manche Ohren vielleicht negativ – dass wir nur kleine Menschen in einem grossen Universum sind, die keine gottesähnlichen Kräfte besitzen.

Lange habe ich versucht, auf den Positivitätszug aufzuspringen, ich habe mich dazu hinreissen lassen zu glauben, dass ich mein Leben durchwegs positiv gestalten kann, wenn ich gopferdeckel nur positiv genug denke.

Es war ein Kampf. Sobald ein Fitzelchen von schwarz sich gezeigt hat, habe ich es weggeschoben. Pooooositiv, denke positiv, willst du wohl positiv denken?! Denke verdammt nochmal jetzt positiv!
Die nächsten Stunden oder Tage war ich damit beschäftigt, mich nicht zu verurteilen, weil sich doch ein negativer Gedanke eingeschlichen hat.

Irgendwann wurde mir bewusst, dass ich nie zu diesen Menschen gehören werde, die diese tiefe, spezielle, vertrauensvolle Ruhe ausstrahlen und es nicht nötig haben, Menschen anzubrüllen, positiv zu denken.

Ja, ich unterstelle den fanatischen Positivisten gerade, dass sie innerlich selbst nicht so überzeugt sind. Ein vertrauensvoller positiver Mensch, der sagt vielleicht schon mal «denk positiv», aber eigentlich hat er das oft nicht nötig, weil er durch seine entspannte Weltsicht automatisch mitreisst.

Irgendwann durfte ich auch merken, dass Positivität bei mir zyklisch bedingt ist. Mitte Zyklus tanze ich durch das Leben und das Glück fliegt mir zu, Ende Zyklus … sprechen wir nicht davon.

Eines Tages hatte ich keine Lust mehr, mich mit toxischem Positivismus unter Druck zu setzen. Ich ging in die Entspannung.
Es war mein Akt der Selbstliebe zu akzeptieren, dass ich nun mal manchmal schlecht gelaunt bin, meine Reaktionen überbordend sind und dass meine Welt zuweilen schwarz und meine Gedanken vielleicht etwas schwärzer sind, als sie sein müssten.

Es war mein Akt der Selbstannahme zu akzeptieren, dass manche Menschen mich als Sonnenschein wahrnehmen und andere als dauernölende Grundel. Ich durfte akzeptieren, dass ich wahrscheinlich beides bin.

Eine Sonnenschein-Nöl-Grundel.

Als ich damit aufgehört habe, mir Druck zu machen, kam die Entspannung. Ich durfte lernen (und übe noch immer) Gedanken anzunehmen und ziehen zu lassen.

Es entstand Raum.

Raum, in dem Dinge wachsen konnten, Raum für Freude an kleinen Dingen, Raum für Dankbarkeit, Raum für Zeit und Leere.

Raum für den Flow, in dem das Glück mir zufliegen kann.

Autorin und Foto: Lina Engler

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Christine Kostritza

    Liebe Sonnenschein-Nöl-Grundel,
    Ich wünsche dir ein volles Glas, ein leeres Glas und viele halbvolle Gläser. Grad so wie es dir gefällt, unabhängig und mit viel Freude. Ebenso einen wunderbaren Frühling und weiterhin viiiiiel Raum für Alles und Nichts.
    Dein „neuer“ Name ist einfach zu schön 🥰
    Liebe Grüße Christine 💛

  2. Dagmar

    Während ich deinen wunderbaren Text über Negativität und schlechte Laune lese, zauberst du mir mit deinem Humor ein breites Lächeln aufs Gesicht. Jedes Gefühl – egal ob Wut, Trauer, Aggression oder eben Freude – hat eine unbändige Kraft. Und ich bin dir dankbar dafür, dass du diese Kraft in so zauberhaft ehrliche, tiefgründige, humorvolle Texte steckst!