Rabenschnabel

Von hohen Erwartungen und einem hartnäckigen Raben

Ein Rabe fliegt in meinen Traum und schaukelt mit lautem Gekrächze hin und her. »Nur dass du’s weißt – so wird’s nicht bleiben. Ein bisschen witziger wäre gut oder zumindest nicht immer so ein bedeutungsschweres Gegrummel!«

Ich drehe mich um und versuche einfach so zu tun, als hätte ich nichts gehört. Bin ja noch gar nicht richtig wach.

»Wortakrobatik, alchimistische Höhenflüge, tiefschürfende Essenzen, tänzelnde Gedankenfäden, die sich wohlig in Weisheitsspiegeln selbst befriedigen und so überaus gewichtige schamanistische Medizinhörigkeit.« Endlich haut er ab.

Es reicht, ich stehe auf. Jetzt gerade denke ich, dass die Zeit der Ahnungslosigkeit auch ganz schön war – da war ein Rabe einfach ein Rabe und vor allem hat er seinen Schnabel gehalten.

Doch das Allerblödeste ist – er hat recht. Volltreffer quasi. Ich spüre es schon seit längerem, dass ich festhänge in meinen Geschichten. Sie haben mich herausgefordert, mir geschmeichelt, ich bin mit und an ihnen gewachsen und doch ist irgendwie die Luft raus. Ich habe mich selbst an meinen eigenen Erwartungen festgezurrt – das kann ich mühelos.

Der Zeitpunkt ist denkbar schlecht, denn wir Spinnerinnen sind mitten in einem Buchprojekt.

Und wenn ich nichts anderes kann?

Ich muss ja gar nichts schreiben, ich verreise einfach ganz lange und außerdem gibt es doch genügend wunderbare Autorinnen. Ich höre ihn lachen – den Raben.

Und dann ist da noch die Sache mit dem Ruf, der mehr noch gar nicht ist. Und natürlich habe ich einen schamanischen Notfallkoffer:

Pirschen, wo es sperrig ist und man eigentlich gar nicht hin will, die Forscherin einladen, den Schleier der sichtbaren Welt lüften. – Schreibt sich super!

Am nächsten Morgen sitzt mein Rabe auf dem Balkongeländer und hält seinen Kopf ein klein wenig schief. Wir schauen uns an, nur die Balkontüre ist zwischen uns. »Hals Chakra«, kräht er mir entgegen, schnappt sich eine Nuss und fliegt davon. Was erlaubt der sich eigentlich – geht’s noch? Und außerdem hat er schon mehr als genug rumgekräht.

»Hey, was soll das denn!?! Ich hab’s überhaupt nicht mit den Chakren, du Klugscheißer!«, rufe ich hinter ihm her. »Das ist den Chakras so was von wurscht«, poltert es aus seinem schwarzen Schnabel zurück.

Nicht mal die Mehrzahl weiß er! Haben Raben überhaupt Chakren? Manchmal ist es schwer für mich, genau dort hinzuschauen, wo es unangenehm ist. Noch schwieriger ist es, wenn mein Körper zum Spiegel wird – und der Rabe weiß das haargenau. Und er weiß auch, dass das Allerschwierigste für mich ist, wenn mich jemand von außen so heimtückisch entlarvt. Ich kränkle nämlich seit ein paar Tagen – und ja, mein Hals ist auch betroffen. Das macht mich so richtig fuchsig.

Ich ahne, was er jetzt sagen würde: »Bei anderen bist du immer so superschlau.« Ich gönne mir jetzt erst einmal eine dicke Portion Ahnungslosigkeit!

Es stürmt und schneit draußen, die Wolkenfetzen lösen sich in ihren unterschiedlichen Grautönen ab. Der heiße Tee tut meinem Hals gut und so langsam macht mich die Rabenspur neugierig.

Eine Reise zu meinem Hals-Chakra… Ich mache einen klitzekleinen Sprung über das Wort… halte nochmal inne… der Sturm lädt mich ein… ich hebe den Schleier…

Eine weiße Maus empfängt mich. Sie sitzt in einer ausgetrockneten Landschaft, auf einem sandigen Boden. Eine Hügelkette in warmen Erdtönen umrahmt den Platz. Wir begrüßen uns und ich frage sie: »Kannst du mir etwas über meinen Hals sagen?«
»Aber ja«, sagt sie und kommt gleich zur Sache, »Es hat mit deiner Stimme zu tun, damit, dass du kaum noch singst. Komm‘ mit.« Ihr Mäuseschwanz schlängelt sich einige Generationen zurück. Es geht alles ganz schnell. Ich begegne Ahninnen, die leise singen, gar nicht mehr singen, ihre Lieder vergessen haben… die Gründe dazu sind vielfältig.

»Ja, und jetzt schau‘ dich um«, sagt die Maus und reißt mich aus meinen Gedanken. »Dein Hals und diese Landschaft sind ein und dasselbe. Und ich sag‘ dir noch etwas, in jedem Hügel gibt es eine Quelle. Sie haben sich mit jedem Ton, der stumm blieb, mit jedem Lied, das nicht gesungen wurde, und mit jedem Ruf, der verhallte im Laufe dieser viel zu langen Zeit, immer weiter zurückgezogen.« Schlagartig sehe ich, wie alles zusammenhängt, und es stimmt – ich singe kaum noch. Das Erkennen schnürt mir den Hals zu.

»Ich kann nicht«, flüstere ich.

Die Maus klettert auf meine Schulter: »Schließe deine Augen und stell‘ dir vor, wie ein herrlicher, klarer und munter hüpfender Gebirgsbach durch deinen Hals fließt. Lass‘ dir Zeit.«
Ich genieße diese Frische, die feinen Wasserperlen, die Farben und Bilder, die auftauchen. Ein Wal schwimmt mühelos in mein Hals-Chakra und sein Gesang erzählt von Traumlinien, von einem Netz aus Liedern und von dieser uralten und so einfachen Medizin – dem Singen. Die Töne sprudeln wie von selbst nach oben und eine herrliche Leichtigkeit durchströmt mich. Es fühlt sich an, wie eine Häutung – ich lasse die alte Haut los.

Das frische Grün wächst mir entgegen!

Natürlich kommt er nochmal vorbei und betritt, mit leicht erhobenem Schnabel, das Rampenlicht der weltbekannten Rabenschläue. Er könnte jetzt dies oder jenes sagen – beides wäre nix.

»Das war übrigens der letzte Wintersturm. Und das mit dem Ruf dürfte jetzt auch kein Problem mehr sein. Das kriegen wir hin.«

Wir schmunzeln beide und ich glaube, ich bin in diesem Moment die weltbeste Rabengedankenleserin.

Autorin: Christine Kostritza
Bild: Christiane Holsten

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Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Michèle

    Was für eine Geschichte, liebe Wortzauberin und Klangerweckerin! Das passt so zum Frühling: die Stimmklänge und heilsamen Schwingungen wieder und neu entdecken! Einfach schön! Danke

  2. Ilka

    Wie schön, diese Verbundenheit unter uns Rabinnen-Clan-Frauen 🙂 Danke für deine Geschichte. Gerade gestern schrieb ich in die Gruppe unserer schamanischen Zirkelarbeit folgendes:

    Ich liebe so einfache und doch so kraftvolle Lieder und wünsche mir so sehr, ganz viele Frauen wieder froh und weise, laut und leise, auch übermütig und melancholisch singen zu hören, denn es verstärkt die Schwingungen.

    Ich war mal an einer singenden Quelle. Mit jedem Gesang hat sich das Wasser in ihr bewegt. Das war gelebte Resonanz, Kommunikation. Es war deutlich zu sehen, wie sich die Schwingung, je nach Tempo und Lautstärke des Liedes, das ich sang, verändert hat.

    Deshalb schicke ich euch noch 2 weitere meiner Kraftlieder, denn ich hab mal erfahren, dass es meine Aufgabe ist, den Menschen Lieder und Geschichten zu bringen 🙂

    https://www.youtube.com/watch?v=RkYshTVe1HU circle of women

    May all mothers know that they are loved
    And may all sisters know that they are strong
    And may all daughters know that they are worthy

    That the circle of women may live on
    That the fire of the Goddess may burn on
    Wehaheya wehaheya wehahey wehaheya

    May all mothers know that they are loved
    And may all sisters know that they are strong
    And may all daughters know that they are beautiful

    May all mothers know that they are loved
    And may all sisters know that they are strong
    And may all daughters know that they are powerful

    https://www.youtube.com/watch?v=wmvUMyuWf8k

    I hear the voice of my grandmother calling
    I hear the voice of my grandmother’s song
    she says: stand in your power women stand in your power listen listen

    I hear the voice of my grandmother calling I
    hear the voice of my grandmother’s song
    she says: give birth give life, mothers, give birth give life listen listen

    I hear the voice of my grandmother calling
    I hear the voice of my grandmother’s song
    she says: teach them, be wise, mothers, teach them to be wise
    listen listen

    I hear the voice of my grandmother calling I hear the voice of my grandmother’s song
    she says: wake u wake up child wake up wake up
    listen listen

    Herzlichst

    Ilka

    In diesem Sinne möchte ich diesen Kreis hier gern erweitern und dich und alle Mitlesenden zum Mitsingen einladen. Lassen wir es gemeinsam heilsam schwingen!

    1. Sibylle

      Danke für die Links, so schön

  3. Lina

    ich liebe den Raben und deine Geschichte dazu. Danke dafür☺️❤️

  4. Karin Hangartner

    Ich liebe diesen kecken Raben… und diese perlend, farbige Hals-Chakrageschichte, in der die Töne nur so sprudeln und strömen. Hach, wie frühlingshaft belebend.