Mich beschäftigen Kriegerinnen…
Und jedes Mal, wenn ich einer begegne, denke ich, dass ich einmal über sie schreiben möchte, weil sie es verdienen, weil sie gesehen und anerkannt werden sollen.
Die Kriegerinnen die ich erlebe sind oft still und beharrlich… nicht laut, das Schwert schwingend und mit Fell behangen (geschweige denn mit sexy Leggings bekleidet). Sie sind still, spürbar, authentisch, klar und pragmatisch, sind in sich und bündeln immer und immer wieder ihre innere Kraft, die von tief unten zu kommen scheint.
Kriege haben so verschiedene Gesichter.
Ich denke an die Kriegerin, die nach fast 60 Jahren ihren Mann verloren hat, der bis zum letzten Moment ihre zweite Hälfte, ihre grosse Liebe gewesen ist. Von einem Tag auf den anderen war ihr Leben anders, dazu kam die Isolation des Covids und ihr schnell schwindendes Augenlicht.
Sie macht weiter, sucht Lösungen, wie sie den Schmerz verarbeiten kann, wie sie weitermachen kann, wie sie mit ihrer beginnenden Blindheit umgehen kann…
Sie ist eine erfahrene Kriegerin, sie ist kampferprobt, sie hat schon viele Schlachten geschlagen. Jedes Mal ist sie aufgestanden, hat weiter gemacht, mit Ausdauer, Humor, Vergebung und Zuversicht.
Ich denke an die erfahrene Kriegerin, die sich nach über vierzig Jahren aus einer schwer missbräuchlichen Ehe lösen konnte, entgegen aller Erwartungen (willst du das in deinem Alter tatsächlich noch machen?!), die Scheidung eingereicht hat und zum ersten Mal in ihre eigene Wohnung gezogen ist.
Die gekämpft hat, um ihre Kinder durch diese Zeit zu bringen, die in dem Gedanken, den Kindern die Familie nicht nehmen zu wollen, gefangen in alten patriarchalen Strukturen, jahrelange physische und seelische Qualen in Kauf genommen hat.
Und eines Tages aufgestanden ist.
Es reicht!
Ich denke an die Kriegerin, der Corona um die Ohren gefegt ist, die jeden Tag nicht weiss, wie es weitergehen soll, die ein Leben lang auf niemanden angewiesen war und sich nun in der Rolle der Bittstellerin sieht. Die Tag für Tag weiter macht, Schritt für Schritt: sie nennt es naiv – ich nenne es beharrlich und stark. Eine Kriegerin, die nicht aufgibt, wo viele das Handtuch schon geworfen haben. Tag für Tag nimmt, Unsicherheit für Unsicherheit, Entscheid für Entscheid, die einfach weitermacht.
Ich denke an die (zu) junge Kriegerin, die vor mir lag und keine Worte mehr finden konnte. Die jahrelang gegen einen Hirntumor gekämpft hat. Eine Kriegerin, deren Augen eine mich verschlingende Tiefe hatten. Eine Kriegerin, die entschieden hatte, ein paar Stunden nach unserem Zusammentreffen diese Sphären für immer zu verlassen, die für sich ihre finale Schlacht geschlagen hatte.
(Nur ein Beispiel aus dem Hospiz, aber ich habe da so viele weise Kriegerinnen kennengelernt… In meinen Gedanken reihen sie sich, Name für Name, zwischen den Zeilen für mich ein. Ich verneige mich tief, sehr tief. Ich denke sehr oft an euch und eure Worte und hoffe, es geht euch gut, dass ich euch würdevoll begleiten durfte…)
Eine Kriegerin spürt, wann es sich lohnt, weiter zu kämpfen und wann ein Kampf sinnlos geworden ist.
Eine Kriegerin trägt diesen Funken in sich.
“Weitermachen”, ein beinah unzerstörbares Leuchten, erkennbar in Gesten, Worten und Handlungen. Eine Kriegerin sagt “Ich kann nicht mehr…” und ein paar Stunden, Wochen, Tage, vielleicht auch Monate später flammt ein “Aber ich könnte noch” auf.
Ob Wochen, Monate, zuweilen Jahre sind egal, eine Kriegerin spürt, wenn der Funken noch leuchtet und sie eine Pause braucht.
Eine Kriegerin gibt nie auf.
Egal worauf ihre Schlacht hinauslaufen wird, egal was sie entscheiden wird.
Umdenken, umdisponieren ist kein Aufgeben, es ist das weise Einschätzen der eigenen Kräfte und des Wissens wo sie gerade am nötigsten gebraucht werden.
All den erwähnten Kriegerinnen ist eine Aussage gemein “Aber ich hab ja noch Glück, ich sollte mich zusammenreissen/ anders denken, anderen geht es viel schlechter, andere mussten viel Schlimmeres erleiden.”
Eine Aussage, die ich bisher von ausnahmslos ALLEN Kriegerinnen gehört habe, ob sie gerade im Sterben gelegen haben oder sich inmitten eines anderen Kampfes befunden haben. Alle waren erschöpft, kraftlos, müde, suchten den Silberstreif am Horizont.
Und jedes Mal denke ich:
Liebe Kriegerin, du musst gar nicht(s)…
Liebe Kriegerin,
jene die Schlimmeres durchgemacht haben sagen genau dasselbe und es bringt weder dir noch jenen etwas, wenn du dir mit diesem Denken zusätzlich noch ein schlechtes Gewissen machst oder deine eigene Not herunterspielst.
Auch Kriegerinnen dürfen in Not sein, auch Kriegerinnen dürfen verzweifelt, von Schmerz zerrissen oder hoffnungslos und erschöpft am Boden liegen… Auch Kriegerinnen dürfen nicht mehr können, auch Kriegerinnen dürfen Todessehnsucht haben, auch Kriegerinnen dürfen mal sagen “SO! Und jetzt ersauf ich bits (ein bisschen) in Selbstmitleid.”
Es liegt nicht in der Natur einer Kriegerin, im Selbstmitleid hängen zu bleiben, viel zu passiv. (Dauerpassiv liegt Kriegerinnen halt nicht so)
Es darf. Es darf alles.
Wie gerne würde ich den Kriegerinnen einen Teil ihres Krieges abnehmen, wie gerne würde ich für sie kämpfen und wie oft möchte ich sagen “Schlaf du eine Runde, ich kämpf für dich weiter, ich kann das, ich bin mega stark imfall (musst du wissen)!”
Und wie oft muss ich mir eingestehen, dass ich das nicht kann, ich nur – schweigend danebenstehend – versuchen kann, da zu sein, hinter ihnen zu stehen, zuzuhören, sie wissen zu lassen, dass sie, auch wenn sie ihre Kriege allein führen müssen, nicht alleine sind.
Ich sie unterstütze, egal was sie entscheiden zu tun, weil ich weiss, dass sie auch weise Königinnen sind, die nach vielen Schlachten wissen, wann es wie zu kämpfen gilt.
Vertraut der Kriegerkönigin….
Vertrau dir, Kriegerkönigin, auch wenn du am Boden liegst, du wirst nicht dableiben. Du wirst aufstehen, in welcher Art auch immer, so wie es deine Ahninnen schon getan haben.
Du trägst dein altes Wissen in dir, welches dir sagt, was zu tun ist, welches genau weiss, was zu welcher Zeit geschehen soll.
Vertrau dir, Kriegerin, und lass mich wissen, wenn ich mal deine Rüstung putzen soll, damit du eine Runde schlafen kannst, und einen Tee kochen kann ich auch.
Ich bin da – und nicht nur ich.
Text und Foto: Lina Engler
Dir gefällt was wir machen… dann bring uns ins Netz. Danke
Ein starker Text, stark wie die Kriegerinnen! Ein Mutmach-Text, hinter dem viele tiefen Erfahrungen und eine Kriegerin steckt
Danke Dir.
Ja diese Huldigung hat mir auch sehr am Herzen gelegen.
Liebe Lina, du schreibst dich schnurstracks in das Herz ein jeder KriegerKönigin. Da ist so eine Liebe und ein Vertrauen in das jeweilige So-Sein und eine zuversichtlich Hingabe an den Prozess, ganz schön.
Herzlichen Dank du leidenschaftliche Kriegerin. Christine
Ich danke Dir, für die lieben Worte🌸
Liebe Lina!
Das geht mir unter die Haut – vielen Dank für diesen mutigen, kraftvollen, weisen, weichen Text!
Ich geh auch Rüstung polieren – und watteweich auspolstern…
Liebgruss!
ReGUla
Liebe Regula
watteweich mit Glitzer☺️
Danke Dir