Verlorene Hexenkräfte 1.1
Sie haben mir die Zehen abgeschnitten, die Augen ausgerissen und den Körper verbrannt. Die Angst feierte kurz einen scheinbaren Sieg.
Doch nichts geht verloren, nichts wird vergessen.
Die alten Heiltänze ruhen. Meine Gabe als Seherin ruht. Die Trommeln haben den Zeitpunkt der Heilung gerufen.
Die Ahnfrauen sitzen im Kreis. Sie wissen um das passende Kraut und bereiten ein Bett aus Moos, Fellen und Tüchern. Sehr sehr behutsam betten sie mich darauf. Mit Salben und Bändern werden meine Zehen wieder mit den Füßen verbunden. Jede einzelne pulsiert ins Leben zurück. Damit ich mit ihnen wieder den heilenden, wilden, exotischen Tanz tanzen kann.
Ich spüre die wohlriechenden Umschläge auf meinen Augen. Zart, kühl und leicht sind sie. Vorsichtig wage ich es, sie abzunehmen und sehe: Unzählig viele Libellen umschwärmen meine Augen, meinen Körper. Auf ihren Flügeln glitzert heilende Lebensmedizin, zarter als Nebel, die sie achtsam auf mir verteilen. Sanft und zärtlich heilt die verbrannte Haut.
Die seherische Kraft kehrt zurück und mit ihr die wohlbekannte Furcht vor meiner Seherinnen-Gabe. Will ich überhaupt so viel sehen? Wie kann ich mich schützen?
Ein Wölfin taucht auf, verschmilzt mit mir und legt mir ein Wolfsfell über, dieses gibt mir Schutz, Weisheit und die Kraft der Achtsamkeit. Ich muss schmunzeln.
Das Feuer der Heilung ist erloschen, die Nacht ist vorbei. In der Asche liegt ein Kohlekristall für meinen Medizinbeutel. Erstaunt stelle ich fest, dass dort bereits gelbe, getrocknete Blüten und Stacheln von Bienen und Hornissen sind. Ebenso Wolfskrallen.
Diese werde ich auffädeln und um die Fußgelenke binden. Ja, die Heiltänzerin ist zurück. Die Hexenfrau ist zurück. Die Seherin ist zurück.
Reise einer Spinnerin, aufgezeichnet und weitergegeben von Christine Kostritza
Schichtbild: Annette Roemer, Ajay Aaxena und Pavel Karásek auf Pixabay
Absicht der schamanischen Reise: Lass dich zu einem vergessenen/verlorenen Hexenaspekt führen und hole ihn dir zurück.
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