Nieder mit dem Gartenzwerg

Ich habe nichts gegen Gartenzwerge, ich habe auch nichts gegen süsse kleine Blumenelfen, jeder wie es ihm gefällt, ich habe auch irgendwo eine Blumenfee im Garten.

«Etwas Mühe», und das gebe ich ehrlich zu, habe ich, wenn jemand mir erzählen möchte, wie Natur- und Pflanzengeister ausschauen und wenn Kindern vermittelt wird, dass Zwerge als niedliche kleine lustige Wesen im Garten arbeiten und Feen den ganzen Tag auf kleinen Blütenblättern rumsitzen, ihre Haare kämmen und ihre Blütenblätterröckchen richten.

Alle sind sie nett, lieb, vielleicht noch liebfrech und süss. Und niedlich natürlich, wir Menschen mögen es niedlich. Sowieso, wenn es Dinge sind, die wir eigentlich fürchten und nicht kontrollieren können. Was tun wir? Wir verniedlichen es, machen es süss und herzig und stopfen es in eine Form, die wir sicher kontrollieren können – und ganz wichtig: eine Form, bei der wir ganz sicher stärker sind.

Ich sag: Vergiss es, wir haben kein Brot gegen Naturgeister, sowieso nicht, wenn es hart auf hart kommt. Manche können uns mit einem Fingerschnippen wegputzen, wirklich schaden können sie uns alle. (Ob gewollt oder ungewollt – unsere Systeme sind einfach zu verschieden.)

Seit ich denken kann, steh ich Naturgeistern sehr nah, und seit Jahren kann ich mich, wenn es um ihre Unterschätzung geht, regelrecht in Rage reden und ernte regelmässig verständnislose Blicke. Ich hätte gerne so Fähnchen, die ich in Gartendekos stecken kann: «Respektiert die Naturgeister!» Aber das mach ich erst, wenn die Kinder erwachsen sind, dann können sie die Verwandtschaft mit mir leichter leugnen.

Jene Naturgeister, die ich bisher kennenlernen durfte, waren von klitzeklein bis riesengross. Sie waren kleiner als ein Sandkorn und grösser als ein Berg. Sie waren quirlig und gesprächig oder ruhig und beobachtend.

Und manche waren – aus Menschensicht – schlicht Arschlöcher. Und gerade höre ich das Gelächter hinter mir im Garten – aber ich bitte euch, es stimmt doch!

Genauso wie jeder Mensch anders ist, sind es auch Naturgeister. Natürlich kann man grob kategorisieren (machen wir ja gerne, macht das Leben etwas übersichtlicher), aber genauso wie wir nicht sagen können, dass alle Menschen schlecht sind, können wir nicht sagen, dass alle Naturgeister «lieb» sind.

Manche sind gelangweilt und sich den Auswirkungen ihres Spiels auf ein einfaches Menschenleben nicht bewusst, manche benötigen mal rasch einen Transfer von A nach B und wissen nicht, was sie dem menschlichen System damit antun können, und manchen sind wir auch einfach egal, weil sie schon so viel haben kommen und gehen sehen und wir eh nur ein Furz in der Weltgeschichte sind.
Sie können aber auch fürsorglich, hilfsbereit und interessiert am Kontakt sein. Ich erzähle selten von meinem Erleben, aber es gab eine Begebenheit, in der ich auf einen Schlag beide Aspekte erlebte und darum teile ich das hier.

Ich hatte vor ein paar Jahren eine Operation, bei der ziemlich viel schief gegangen ist. Unter anderem wurde sie um 4 Stunden verschoben, während ich, schon reichlich gaga und mit Medikamenten zugedröhnt, bei der Anästhesie lag.

Also wurde ich im Aufwachraum zwischengelagert und regelmässig mit leicht sedierenden Medikamenten versorgt. Im Aufwachraum waren zwei Pflegende, ein Mann und eine Frau.

Der Mann war ungemein fürsorglich, hat mir Felle und Decken gebracht, mich gefragt, ob ich Musik hören möchte, kurzum, ich fühlte mich rundum geborgen und sicher.  Komme, was da wolle, er war bei mir und das durfte ich, egal wie hinüber ich war, tief in mir spüren.
Sein Gesicht und seine warme Ausstrahlung kamen mir bekannt vor. Seine Haut war wettergegerbt, seine Augen lachten und seine weissen Haare hatte er nach hinten gebunden.

Nach der Operation war er nicht mehr da und ich erkundigte mich später, wer an jenem Tag Dienst gehabt hatte. Ich wollte mich bei ihm bedanken.
In jenen Stunden, als ich da war, hatte nur eine Frau Dienst.

Also sage ich, einmal mehr und aus tiefstem Herzen, an dieser Stelle noch einmal Danke. Mein Blick schweift in den Garten und ich nick ihm zu.

Mein Heilverlauf nach der Operation lief ungewohnt schlecht. Ich hatte dauernd Entzündungen und eigentlich war alles schlimmer als zuvor. Irgendwann hatte ich genug und ging zum Schamanen meines Vertrauens. Der guckte es an, grinste und meinte: «Du hast da ne Föhre hinterm Ohr.»

Der Föhrengeist durfte dann wieder raus (was heisst «durfte», ich glaub, er fands eher uncool, zu Fuss ist man schneller als zu Wurz) und ich wollte wissen, wie in einem sterilen Operationssaal ein Föhrengeist hinter mein Ohr geraten konnte.

Also rief ich wutentbrannt im Spital an, sagte, dass ich mir während einer Operation eine Föhre zugezogen hätte und was das eigentlich für hygienisch untragbare Zustände in einem Schweizer Krankenhaus seien, bei diesen Prämien sowieso!
Nein, ich übertreibe. Obwohl, ich hätte es tun sollen, es wäre zu lustig gewesen. Aber ich erkundigte mich und erfuhr, dass an jenem Tag Fällarbeiten im Krankenhaus-Park stattgefunden hatten.

Der Geist war in grosser Not und was bietet sich mehr an als jemand, der total knülle rumliegt, von dem man aber weiss, dass er bald wieder mobil sein wird und einem raushelfen kann.

Mein Heilverlauf hat sich, nachdem der Föhrengeist wieder ausgezogen ist, schlagartig gebessert und ich hatte seit Jahren keine Entzündung mehr. Er hatte es bestimmt nicht böse gemeint, er war in Not, dennoch hat es mir geschadet, was er aber nicht wissen konnte.

Wir müssen Naturgeister nicht fürchten, aber wir sollten ihnen den ihnen gebührenden Respekt entgegenbringen, und ich denke, wir tun gut daran, ihre Kraft anzuerkennen und, falls sie denn Lust haben, möglichst mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Natur- und Pflanzengeister sind wesentlich mehr – vielseitiger und kraftvoller – als der süsse Gartenzwerg oder die niedliche Blumenelfe. – Oder sagen wir «Jöööööö, die kleine Flutwelle, oh guck mal der süsse Bergsturz, oh mei, du putziger Orkan, komm her du kleiner wilder Hurrikan»? Wohl kaum.

Stattdessen verniedlichen wir die Natur- und Pflanzengeister – was für mich fast unter verleugnen läuft – zerstören ihre Lebensräume und wundern uns, wenn sie wütend werden und uns ihre berechtigte Wut und Verzweiflung deutlich und schmerzhaft spüren lassen.

Ich wünsche mir ein respektvolles, achtsames Neben- und zuweilen vielleicht auch Miteinander.

Wir haben alle Platz auf diesem Planeten.

Autorin: Lina Engler
Fotos: Lina Engler, Annette Roemer, Gartenzwerg von Stefan Schweihofer auf Pixabay

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Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Luciana Brusa

    oh wow! was für ein Erlebnis. Danke, dass du diese Geschichte geteilt hast. Sie ist spannend, aufschlussreich und wie immer amüsant (besonders der Teil mit dem Telefonat ins Spital! Spitze! :)). Ich mag deine Schreibe.

  2. Lina

    Danke Dir.
    Ja solche Telefonate, da denk ich nachträglich immer, dass ich es hätte tun sollen. Ich hätt die Gaudi meines Lebens und tu niemandem weh :))

  3. Michèle

    Liebe Lina, danke für diese notwendige Aufklärung, deine Würdigung und deine klaren Worte für mehr Respekt auf unserer Welt!