Buchrezension „Das Rätsel der Schamanin“

Immer wieder habe ich überlegt, ob ich dieses Buch zweier Wissenschaftler bei den Spinnerinnen vorstellen soll. Dann, als ich Ungeduldige mal während des Lesens ganz nach hinten blättere zur Danksagung, kommt es: „Alles an diesem Grab schreit Gemeinschaft.“ Da weiß ich: Das Buch muss zu den Spinnerinnen.

Oft kommt mir das Forschen der Wissenschaft wie reiner Selbstzweck vor, wie eine egoistische Befriedigung der Neugier. Sonst nichts. Das hier ist anders: Hier forschen zwei Wissenschaftler auf eine Weise, die den Sinn nicht aus den Augen verliert. Im Alten suchen die beiden Autoren Harald Meller und Kai Michel nach neuen Wegen, wie unsere Gesellschaft, ja eigentlich die ganze Menschheit wieder gesunden kann. Damit spinnt das Buch nicht nur einen Faden zurück in unsere älteste Vergangenheit. Es beginnt auch ein Netz zu weben zwischen zwei Disziplinen, die sich bisher spinnefeind waren: Spiritualität und Wissenschaft.

„Das Rätsel der Schamanin“ erzählt von der Spurensuche nach einer besonderen Frau, die vor 9000 Jahren gelebt hat und deren Grab – zur Nazizeit im sächsischen Bad Dürrenberg entdeckt – nun neu untersucht wurde. Die Autoren sind Wissenschaftler, wie sie wissenschaftlicher nicht sein könnten: der eine Archäologe, Professor und Museumsdirektor, der andere Historiker und Literaturwissenschaftler. Dass sie dennoch von einer Frau fasziniert sind, die ihren Grabbeigaben nach zu schließen so etwas wie eine Schamanin war, scheint sie in einen gewissen Zwiespalt zu bringen. Immer darauf bedacht, möglichst wissenschaftlich zu bleiben, manövrieren sie sich vorsichtig an das heikle Thema heran. Erstmal mit der deutschen Geschichte aufräumen, mit den Nazis wie auch mit den Hexenverfolgungen! Dann ein Herantasten an die Definition von Schamanismus, wozu sie weite Wege zurücklegen und wirklich jede Kultur unter die Lupe nehmen, in der Medizinmänner und -frauen, Schamanen und Schamaninnen oder in irgendeiner Form geistheilende Personen auftreten. Selbst das Heute lassen sie nicht außen vor, lesen Carlos Castaneda und Michael Harner.

Die Schamanin von Bad Dürrenberg und die dazugehörige Detektivgeschichte aus den Laboren der Wissenschaft: Das ist eigentlich nur der Aufhänger. Viel spannender ist das, wohin die 9000 Jahre alte Schamanin die Autoren Harald Meller und Kai Michel letztendlich führt: zurück in die Geschichte des Schamanismus und hin zu einer völlig neuen Wertschätzung desselben.

Was ist Schamanismus? Wie und warum funktioniert er? Was hat es mit der animistischen Art des Denkens und Lebens auf sich? Was ist die besondere Qualität, die indigene Kulturen zigtausende von Jahren überleben hat lassen, während unsere westliche Zivilisation nach wenigen hundert Jahren kurz vor dem Scheitern steht? Was könnte die Lösung für unser aktuelles gesellschaftliches Dilemma sein? Eine Antwort auf derartig drängende Fragen bleiben die Wissenschaftler übrigens nicht schuldig. Auch wenn ich nicht weiß, ob sie für alle LeserInnen gleich lautet wie für mich. Ich sage nur so viel: für mich steht sie auf Seite 218.

Autorin: Dagmar Steigenberger

Harald Meller, Kai Michel

Das Rätsel der Schamanin.
Eine archäologische Reise zu unseren Anfängen

Rowohlt Verlag 2022

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