Besenzauber

Mein Besen spricht zu mir. Ohne Hexerei! Obwohl gerade der Besen untrennbar verknüpft ist mit der volkstümlichen Hexenvorstellung der Frühen Neuzeit. Aber nicht nur mit den Hexen wird er assoziiert. Um kaum einen anderen Alltagsgegenstand rankt sich weit über Europa hinaus so viel Aberglaube wie um den Besen. So sei der Kehrbesen der liebste Sitz der armen Seelen, weswegen man einen Besen nie werfen dürfe. Oder man glaubt, Kobolde und andere Hausgeister lebten im Schmutz und beim Auskehren würden sie sich in den dünnen, dürren Zweigen verfangen und sichtbar werden. Besenmagie kann übrigens jeder ausüben, nicht nur Hexen. Auf einem Besen stehend kann man zum Beispiel losen, also wahrsagen. Oder vielleicht doch «losu» – also hören? Weiter lassen sich mit einem Besen Bannkreise ziehen, Beschwerden wegwischen und nicht zuletzt soll das typische Attribut der Hexen vor ebendiesen schützen, indem der Besen verkehrt herum, mit dem Reisig nach oben, vor die Haustür gestellt wird. Falls du keinen Besen besitzt, kannst du ersatzweise auf die Türschwelle spucken, das soll ebenfalls ungebetene Gäste fernhalten. Wobei das vermutlich eher weniger an der magischen Wirkung des Speichels liegt als am Ekel, den er beim Zuschauer auslöst. Sollten trotzdem unliebsame Besucher über deine Schwelle gelangen, werden sie Unordnung und Schmutz nicht lange bei dir verweilen lassen. Diesen faulen Zauber wende ich seit Jahren erfolgreich an. Meine Schmerzgrenze gegenüber Tohuwabohu und Staub liegt mittlerweile so tief, wäre sie eine Limbostange, die wenigsten könnten hindurchtanzen. Und damit zum Saubermachen. Der eigentlichen Funktion des Besens. Dieser Handlung wird ebenfalls eine Art Zauberkraft nachgesagt. Putzen als spirituelle Reinigung und die Wohnung als Spiegel der Seele. Wie innen, so aussen? Nää… Das glaub ich weniger. Nach meiner Erfahrung kann man nicht von der Verpackung auf den Inhalt schliessen, von einem Lächeln auf Herzlichkeit, von einem schönen Garten auf ein trautes Heim. Während nämlich im Haus wie immer das Chaos herrscht, sieht es draussen ausnahmsweise einigermassen ordentlich aus. Vor dem grossen Schnee wollte alles gestutzt und geputzt sein. So nahm ich meinen Besen zur Hand und wischte ums Häuschen herum. Ich war ein bisschen mürrisch. Nicht, weil mir Putzen nicht sonderlich Spass macht, sondern weil ich an diesem Tag bereits eine längere, lautlose Debatte mit mir selbst geführt hatte. Eines dieser Kopfgespräche über eigentlich unwichtiges Zeugs, das einen ärgert und von dem man meint, es besser zu wissen. Während meine Gedanken in diesem Karussell mit der misstönende Wortmelodie fuhren, wischte ich und murrte dazu, als plötzlich mein Besen zu mir sprach. Er sagte: «Schsch.» Erst dachte ich, ich hätte mich verhört. Waren es die armen Seelen, die aus dem Besen flüstern oder die neckischen Hausgeister, die gerne Schabernack mit mir treiben? Aber dann sagte er es noch einmal, etwas lauter. «Schsch.» Ich schrak auf. Ui! Ich war zu weit gegangen. Unbemerkt hatte ich vor der Haustür der Nachbarn gewischt. Du hast recht, alter Besen. Ein bisschen «Schsch» täte mir offensichtlich ganz gut. Ich ging zurück vor meine eigene Tür. Achtsam schwang ich nun den Besen. Mit jedem Wisch verfingen sich die Gedankenkobolde im Reisig, wurden sichtbar, betrachtet und dann weggewischt. In meinem Kopf wurde es leise und leiser. Mein weiser Besen. Ich versprach ihm, ihn nun öfter, wenn es in mir plappert und nörgelt, zur Hand zu nehmen. Danach stellte ich ihn vor die Tür – mit dem Reisig nach unten.

Autorin und Foto: Luciana Brusa

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