Das geschah so lautlos, dass wir vollkommen überrumpelt sind. Zusammen mit uns im Netz fliegt der Rabe davon. Ich fühle mich im Netz jedoch nicht gefangen und spüre, dass er es nur gemacht hat, um uns besser mit sich nehmen zu können. Er zieht uns im Netz hinter sich her und fliegt immer höher.

Hoppla. Jetzt sind wir fast mit einer Hexe, die auf ihrem Besen fliegt und es sehr eilig hat, zusammengestossen. Sie trägt einen schwarzen Umhang. Ihr Anblick verwirrt mich komplett.
Beim Anblick der Hexe denke ich sofort an Beltane. Ich frage mich, ob gerade Beltane gefeiert wird. Das Fest der vollen Mondin, an dem wir unsere Sinnlichkeit, Lebenskraft und unsere Sexualität feiern. Aber nein, das ist in der Nacht auf den 1. Mai. Jetzt ist es Oktober.
Das nächste Fest im Jahreskreis, das gefeiert wird, ist Samhain. Das Fest der Neumondin, das Dunkelheitsfest. Hä? … Meine Gedanken rattern und verzwirnen sich völlig.

Ich frage den Raben, wohin wir fliegen. Er antwortet: «Zu einem Ritual.»
Ich werde immer neugieriger.

Als er langsam in den Sinkflug geht, sehe ich von oben lauter schwarz gekleidete Frauen. Sie stehen auf allen Wegen, die ich aus meiner Vogelperspektive sehen kann. Frau an Frau an Frau stehen sie da. Zusammen bilden sie eine welt-weit umfassende Verbindung. Ein welt-weit umfassendes Netz.

Plötzlich weiss ich, um was es im Ritual geht. Es geht um die vor langer, langer Zeit in den Schatten verdrängte, weibliche Kraft. Dass sie wieder aus ihrem Schattendasein heraustritt, ans Licht zurückkommt.
Das tut sie, indem jede einzelne Frau zu ihrer eigenen Kraft steht und sich so zeigt, wie sie ist. Daraus erfolgt die kollektive Befreiung.

Beltane und Samhain stehen sich im Jahreskreis gegenüber und verbinden sich.
Nichts wird mehr ausgegrenzt.
Die Energien fliessen.
Jetzt.

Schamanische Reise:  Karin Hangartner
Fotos: Annette Roemer, Hexe – Kevin Phillips Pixabay, Tiger – Alexa Pixabay