Türkis

Ich bin ins Schwarz hineingerauscht. Zu sehr verbunden mit den Stürmen und Zeichen unserer Welt. Habe mich in Fragen verstrickt, wäge meine eigene Lebendigkeit ab, finde keine Worte für die tiefste und längste Nacht und schon gar keine für ihren allerkleinsten Lichtfunken. Gerade dieser jedoch möchte abermals sein Versprechen halten.

Und bei alldem taucht immer wieder die Farbe Türkis auf. Kein Weiß. Kein Schnee, einfach gar nichts. Winter–Neuland fordert mich heraus. Ich gebe das Schwarz noch nicht auf.

Trotzdem hole ich ein altes Armband aus der Schublade – rote und orange Korallen mit einem grünen, braun gesprenkelten Türkis. Ich lese, dass er sich meist in verwitterten Hohlräumen ablagert. Oft zusammen mit einem Muttergestein. Zum Beispiel dunkelbraunem Limonit. Und dort ist er auch zu finden. Sehr selten inzwischen.
Ja, genauso sieht mein Türkis aus, wie Erde und Wasser oder Erde und Himmel.
Mit dem Armband in der Hand beginne ich eine Reise. Weit hinauf geht es zu einem türkisfarbenen Vogel und einer Frau in einem türkisfarbenen Gewand. Wie konnte ich sie vergessen – eine Ahnin, eine Lehrerin. Eine, die schon ewig mit dem Licht verbunden ist. Mein letzter Besuch bei ihr liegt schon so lange zurück.
Mein Schwarz bekommt feine Risse.
Hier oben ist alles klar und weit, es gibt kein Warten auf den richtigen Zeitpunkt, kein Versprechen, das geschrieben werden möchte und keine Bedeutung, die Grenzen setzen könnte.
Der türkisfarbene Vogel reist mit mir weiter. Wir fliegen nach unten, in dieses dunkelbraune Muttergestein. Eine runde Höhle erwartet mich. Sorgfältig und in warmen Brauntönen gestaltet. Es riecht nach Erde, auch irgendwie nach Kräutern und eine mir unbekannte Würze liegt in der Luft. Meine Hände fühlen sich sofort magisch angezogen von diesen Steinwänden. Ihre Textur erinnert an feinste Erdpigmente, pulvrig aufgetragen und mit nichts anderem vermischt. Und doch bleibt nicht einmal das kleinste Körnchen an meinen Händen haften. Ich gehe im Kreis durch diesen wunderbaren Raum – immer wieder. Manchmal bleibe ich stehen und stecke meine Nase in das weiche Braun. Versinke darin, lausche und gerate mehr und mehr in eine Art Trance. Gehen, innehalten, gehen, gehen …
Die alte Steinmutter taucht auf – sie geht einfach mit mir mit. Zeit und Raum lösen sich auf. Ich sehe große und kleine Risse, feinste Ritzen, Hohlräume unterschiedlichster Art. Mein Sehen verändert sich, meine Wahrnehmung öffnet den Höhlenraum und ganz langsam ahne ich, was mich die Steinmutter lehren möchte. Es geht um die Kostbarkeit der Zwischenräume, um die vermeintliche Leere. Sie ist es, die das eine und das andere verbindet. Hier ist alles möglich, hier gestaltet das Jetzt, was auf der einen Seite verloren gegangen ist und auf der anderen Seite ersehnt wird. Die Zeit spielt überhaupt keine Rolle. Hier wohnen Geschichten, die sich ständig ändern können und eine Einseitigkeit unmöglich machen. Diese schlichte Erkenntnis und dieser Raum von unendlichen Möglichkeiten machen mich weit und frei. Zutiefst danke ich der Steinmutter und dem türkisfarbenen Vogel.

Ich stehe in der Mitte der dunkelbraunen Steinhöhle – alleine.
Ich sehe das Schwarz und das Weiß.
Ich sehe das Dazwischen.
Türkisfarbene Stille.

Autorin und Foto: Christine Kostritza

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