Schwarz geht gar nicht

Weiß Rot Schwarz

Gibt es eine indigene, matriarchale Art, das Leben zu beschreiben? Ja, es gibt Hinweise und Spuren dazu und die drehen sich um die Zahl drei. Triskelen und andere Dreiersymbole gibt es spätestens seit der Jungsteinzeit und laut Forscherinnen wie Heide Göttner Abendroth und Marija Gimbutas ist mit der Dreiheit die dreigestaltige Erscheinung der Göttin verbunden und mit ihr wiederum drei Farben: Weiß, Rot und Schwarz.

Hell und Dunkel und das Leben dazu – Kohle, Kalk und Blut, dargestellt (oder vermischt?) mit roter Erde, waren auch physisch die ersten Farben, die uns als Menschen zur Verfügung standen.

Vergiss das Nacheinander mit Aufbau – Höhepunkt – Niedergang, maiden – mother – crown, Jungfrau – Mutter – alte Weise, das meine ich nicht. Es ist ein Zugleich und ein Übereinander gleichwertiger Qualitäten, die uns begleiten, die uns Orientierung geben. Wo in meinem Leben beginnt etwas Neues? Was kommt gerade zu Reife? In welchen Bereich bin ich dabei, etwas abzuschließen und loszulassen?

Es sind drei Qualitäten, die in ihrem parallelen Auf und Ab das Leben wiegen. Nicht wie einzelne Wellen, sondern wie ein Ozean.

Die Zuordnungen der Qualitäten und der Farben können unterschiedlich sein. Ich versuche es heute so:

Weiß ist wild und frei, genügt sich selbst und ist gerne mit Gleichgesinnten unterwegs. Weiß bricht kühn zu Abenteuern auf, durchstreift die Wälder, kennt alle Tiere. Weiß ist getragen von ihrem Willen und ihrer Unschuld.

Rot zeigt die Reife an, die Frucht, die Fülle und die Fruchtbarkeit. Rot ist die Kraft der Schöpferin und der Kreativität. Rot ist die Mutter und die Liebende. Rot ist die Nährende, die unbegrenzte Quelle, die hegt und pflegt und selbst genießt.

Schwarz ist die Farbe der gesammelten Energie und Erfahrung, des Rückzuges. Schwarz ist die Wandlung und die Weisheit, die Klarheit und das Unterscheidungsvermögen. Schwarz ist das Innehalten, das Schaffen von Räumen und Zeiten, in denen Entwicklung stattfinden kann.

Was haben die letzten zweitausend Jahre mit diesen Qualitäten gemacht? Sie haben den Zyklus zu einer Geraden gebogen. Sie haben das Fließende und Heilige hintereinander gereiht und bewertet:

Weiß wird vom Patriarchat für gut befinden, es erscheint am „männlichsten“ und damit am wenigsten gefährlich zu sein. Aus den unabhängigen Frauen wurde Ware, die vom Vater an den Meistbietenden verkauft wurde. Weiß wurde schlank und jung und sexy. Weiß wurde intellektuell und unverbindlich, proaktiv und unternehmerisch.

Rot wird gerade so toleriert. Es war klar, dass es Mütter für die Fortpflanzung braucht. Die weibliche Fruchtbarkeit war suspekt und herbeigesehnt, lästig und erwünscht und bis heute versucht das Patriarchat sie zu kontrollieren – bei Frauen und Tieren und Pflanzen. Unsere Welt benutzt unser Bedürfnis nach der tiefen Lebendigkeit der Erotik, nach Geborgenheit und Mütterlichkeit, um den Konsum anzutreiben. Die ganzheitliche Pflege wird zur schlecht bezahlten Care-Arbeit.

Schwarz geht gar nicht. Es wird unterdrückt und abgespalten, dämonisiert. Der genuine Abbau, der innigst zum Leben gehört, wurde zum modernden Verfall. Aus Wandel wurde Untergang, aus der Transformation eine Katastrophe. Als wäre Schimmel nichts Lebendiges. Die weise Alte, reich an Erfahrungen und Unterscheidungsvermögen, wurde zur bösen Hexe. Bis heute gilt alt, krank und anders als schlecht und lebensbedrohlich, obwohl es ursprünglich Teil des Lebens ist.

Alle drei Qualitäten werden missbraucht. Bis heute. Jetzt aber, aber jetzt ist die Zeit da, diesen Krieg mit dem Leben zu beenden.

Es ist an der Zeit, die liebevolle Verbundenheit mit dem Leben in der Farbe Weiß wieder wahrzunehmen, die heilige, lustvolle Unschuld in uns freizulegen, die nur uns selbst gehört und die wir verschenken können, wenn wir möchten. Es ist an der Zeit, uns nicht für dumm verkaufen zu lassen, für unzulänglich, sondern Platz zu nehmen in unserem Körper ganz so wie er ist. Und keinen Gedanken mehr daran zu verschwenden, ob irgendwas an mir entspricht oder nicht.

Es geht darum, die Mütterlichkeit in all ihren Formen zu ehren, die Dankbarkeit und unbändige Freude für die Fruchtbarkeit zu fühlen und zu erkennen, wie sehr ich selbst Teil davon bin. Es geht darum, die Fülle zu genießen, dass Misstrauen abzulegen und in die Gewissheit einzutauchen, dass für alle gesorgt ist. Oder für den Anfang: Zumindest den Gedanken zuzulassen, dass es so sein könnte. Es geht darum, überschäumendes Glück und die Ekstase als mögliche Option für meinen Alltag anzuerkennen.

Es ist entspannend, das Dunkel willkommen zu heißen, das unverfroren klare Unterscheidungsvermögen, das Gehenlassen und die Räume der Regeneration. Es ist gut, die Erleichterung des Loslassens zu spüren, die lebensbejahende Kraft, die dem innewohnt. Es tut gut, endlich einverstanden zu sein mit der täglichen Transformation, dem Lebensfluss zu vertrauen. Den Schmerz der Veränderung kommen und wieder ziehen zu lassen.

Ist das in meinem ganz normalen Leben umsetzbar? Ich glaub schon.

Ist es verstörend und unangenehm? Manchmal.

Ist es notwendig? Himmel, ja!

Wann fange ich damit an? Hast du schon.

 

Autorin und Bilder: Thea Unteregger

 

Hier gibt’s mehr von und über Thea Unteregger

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