
Für die einen sind es Superhelden, Vampire, Hexen oder übernatürliche Kräfte, die Grenzen sprengen und alles möglich machen. Für andere bleibt es ein Märchen, ein Traum, den man irgendwann ablegen soll, wie ein altes Spielzeug, das nicht mehr gebraucht wird. Aber manche Bilder bleiben.
Ich erinnere mich an «Die kleine Hexe» von Otfried Preussler, die ich schon als Kleinkind bewunderte. Nicht, weil sie mächtig war, sondern weil sie anders war, mutig und hilfsbereit. Warum sollte jemand böse sein, nur weil er Gutes tun will? Das war schon viel Magie für mich. Insgeheim wünschte ich mir damals, auch zaubern zu können. Nicht, um gross zu werden oder über andere zu herrschen oder Wünsche zu erfüllen, sondern weil ich spürte, dass es etwas geben musste, das leiser und stärker zugleich war als Worte und das Greifbare. Ich verlor mich oft in den Geschichten von «Bibi Blocksberg», sass stundenlang vor dem Kassettenrekorder und flog in Gedanken mit ihr auf ihrem Besen «Kartoffelbrei» durch ihre wundersame Welt.
Später, in meiner Jugendzeit, gründete ich mit ein paar Freundinnen einen Coven, einen Zirkel, um der Melancholie und dem Magischen zu huldigen. Damals war alles noch viel dogmatischer, und in der Zeit vor dem Internet bekamen wir unser Wissen darüber nur aus ein paar wenigen und extrem überteuerten Büchern. Wir mussten uns selbst zusammenreimen, wie Rituale genau abgehalten werden. Es gab sogar einmal eine Trauung. (Die zwei sind heute zwar nicht mehr zusammen, aber noch immer dicke Freunde.) Aufgelöst hat sich das alles später buchstäblich in Rauch, als wir irgendwann einfach zu viel kifften. Dennoch war es eine spannende Zeit, und ich habe dabei gemerkt, dass es nicht einfach ist, die «Magie» so zu lenken, wie es einem beliebt.
Mit den Jahren wurde diese Welt leiser. Erklärungen und Erwartungen schoben sich darüber wie der Nebel über eine Lichtung. Die Sprache der Vernunft wurde lauter, die der Magie immer leiser. Immer mehr habe ich diese Welt vergessen. Nicht mit Absicht, sondern einfach, weil die Welt des Erwachsenwerdens keinen Platz dafür hatte.
Aber als mein inneres Gleichgewicht ins Wanken geriet, als ich mich neu orientieren musste und meine Werte neu auslegte, als vieles von dem, was ich für sicher gehalten hatte, nicht mehr haltbar war, begann etwas in mir wieder zu erwachen. Ganz langsam, aber bestimmt. Es war die Erinnerung daran, die Welt auf eine andere Art zu erleben und sie verzauberter zu sehen.
Und genau zu dieser Zeit schickte mir meine Mutter ein Bild, das ich ihr als Kind gezeichnet hatte. Darauf war ich selbst als Zauberin zu sehen, mit weitem Kleid, das mit magischen Symbolen versehen war, einem Hut und einem Zauberstab. Ein Kindergeschenk. Und zugleich ein Hinweis zu etwas, das tief in mir ruhte, auch wenn ich es damals noch nicht benennen konnte.
Und ganz langsam fand der alte Glitzerfunke seinen Weg zurück in mein Leben.
Die Sprache der Magie verstehe ich heute in einer anderen Form. Nicht in Formeln oder grossen Zeichen. Sondern in leisen Verbindungen, die entstehen, wenn etwas durch die Hände geht und mehr hinterlässt, als ich selbst erklären könnte.
Wie vor einiger Zeit, als ich zwei Räucherfächer aus den Flügeln eines Vogels fertigte. Zwei tolle und kraftvolle Frauen erhielten sie. Es war sehr stimmig für mich. Sie erhielten die Flügel unabhängig voneinander und ohne voneinander zu wissen. Eigentlich fertige ich selten ein Paar von etwas, da ich mir bewusst bin, dass es für einige eine ungreifbare und auch ungewollte Verbindung bedeuten könnte. Doch in diesem Fall war es ja offensichtlich: Ein Vogel hat zwei Flügel.
Ich wusste nicht, was diese Flügel berühren würden. Doch ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht, nach einer Weile nachzufragen, wie es mit den gefertigten Gefährten geht. Oft hat sich dann eine innige Verbindung zwischen Ritualobjekt und Behüter:in aufgebaut. So setzte ich mich mit einer der Frauen in Kontakt. Sie erzählte mir: «Oh, er wirkt so kraftvoll. Und er heilt mich, manchmal lege ich ihn nur auf mein Herz, wenn ich einen schweren Tag hatte. Ja, wir sind ein kraftvolles Team.»
Ist das nicht eine schöne Form der Verbindung? Da geht mir selbst das Herz auf, wenn ich solch berührende Nachrichten erhalte.
Einige Zeit später schrieb ich mit der Besitzerin des zweiten Flügels. Ohne nachzufragen, fügte sie ihrer Nachricht hinzu: «Deine Magie liegt für mich in deiner Kunst. Der Fächer mag nach dem Räuchern immer noch sanft auf dem Herz sein. Seit Neuestem. Das ist zauberhaft und so zuversichtlich ruhig.»
Sie wussten nichts voneinander. Und doch hatte sie etwas verbunden.
Genau in solchen Momenten ist für mich die Magie, der Zauber, das, was uns alle abseits des Alltags verbindet, tief spürbar. Wie bei diesen beiden Flügelhüterinnen, die über den Flug des Nachtvogels eine unsichtbare Herzensverbindung gewebt haben.
Vielleicht braucht Magie auch einfach nichts anderes als ein offenes Herz. Einen Atemzug zwischen den Welten. Ein Hinhören, wenn die Nacht still genug wird, dass man das Flügelschlagen spüren kann. Hoch oben. Im unsichtbaren Raum. Wo Wünsche, Träume und Geschichten nie wirklich verloren gehen.
Magie ist nicht das, was wir suchen, sondern das, was uns still findet.
Autorin: Belinda Capobianco
Schichtbild: Annette Roemer, Jozef Klopacka AdobeStock, Petr auf Pixabay
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