Kauri-Bäume

Die Riesen des Urwalds - verbunden mit den Ahnen

Kein Land und keine Kultur hat mich so extrem spirituell angesprochen wie Neuseeland.

Einige Länder habe ich mit dem Rucksack bereist und immer auch bei Einheimischen gelebt. Mich interessieren immer die Geschichten des Landes, aber auch und vor allem die Natur. Egal ob in Slowenien, Malaysia oder Korea – die dort heimische Natur steht für mich auf Platz 1 der Besucherziele. In Neuseeland wurde ich sofort von den einheimischen Maoris an der Hand genommen und mit der Natur verbunden.

Nachdem ich in einem Maori-Dorf herzlich und nach altem Brauch empfangen wurde, durfte ich im Wharenui (Gemeinschaftshaus) übernachten. Diese Häuser haben oft den Namen eines verstorbenen Stammesmitgliedes. Das Haus hat somit eine Seele und das Gebäude selbst einen Körper. Der höchste Punkt ist der Kopf, der Dachfirst das Rückgrat und der zentrale Stützbalken das Herz. Strenge Regeln müssen eingehalten werden, zum Beispiel darf man nicht in diesem Haus wütend sein – es ist für den Stamm ein Ort der Einheit und des Friedens.

Nachts im Wald an seltenen Farnen und Moosen vorbei und an Spinnen, die zuhauf wie Glühwürmchen grün glühten, lag ich plötzlich in einer mollig warmen Schwefel-Wasser-Quelle – mitten im Wald… Umspült von dieser Wasserkraft, blickte ich auf den fast greifbaren und unglaublich nahen Sternenhimmel – nein – den ganzen Kosmos. Für mich ein unvergessener Moment.

Doch am meisten beeindruckte mich der heilige Wald.

Die Maori erzählen eine schöne Schöpfungsgeschichte. Die Himmelsmacht Ranginui und die Erdenmutter Papatuanuku umarmten sich inniglichst. Die daraus entstandenen Kinder lebten aber in dieser umarmenden Dunkelheit – bis sich das Kind des Waldes, Tane Mahuta, aus der Liebe, der noch immer eng umschlungenen Eltern befreite, sich auf die Schultern der Erdmutter stemmte und sich somit zum Licht drückte. Der entstandene Spalt zwischen den Eltern brachte Licht auf die Erde, das alles Leben ermöglichte.

Maori leben modern – und trotzdem pflegen sie ihre alten Traditionen, wie schon ihre Ahnen. So sind sie beispielsweise spirituell mit den Bäumen verbunden. Wenn ein Maori den Wald betritt, gesellt er sich zu seinesgleichen. Denn sowohl wir Menschen als auch die Bäume haben Tane alles Leben zu verdanken.

Maoris singen nicht nur zur Begrüßung, sondern auch wenn sie die Kauri-Bäume besuchen.  Es wird dabei um Vergebung gebeten, den Wald in seiner erhabenen Ruhe gestört zu haben.

Der Kauri-Baum ist die größte in Neuseeland heimische Baumart. Die Kauri-Bäume stellen eine Verbindung zu den Ahnen dar. Sie haben auch Namen, einer der berühmtesten heißt Te Matua Ngahere, was übersetzt „Vater des Waldes“ bedeutet.  Er wird auf ca. 2000 (manche sagen 3000) Jahre geschätzt. Kauris können gut 50 Meter Stammhöhe erreichen.

„Wenn ein Baum gefällt wird, stirbt ein Mensch“ – ist eine weitere Legende. Daher musste genau überlegt werden, wenn ein Kauri gefällt wurde. Aus einem Baumstamm konnte ein Kanu (Waka) mit bis zu 90 Personen geschaffen werden, das sich blitzschnell im Wasser bewegen konnte.

Wie die Kauris ihre Borke bekamen.

Die Kauris als größte Bäume des Urwaldes überragten die anderen Bäume. Das sah auch der Wal vom Meer aus. Er wollte sie sehen und schwamm ans Ufer. Ein gigantischer Kauri und der Wal trafen sich. Doch weder konnte der Wal an Land, noch der Kauri ins Meer…  Sie beschlossen, ihre Verbundenheit anders auszudrücken. Der Wal zog in Freundschaft seine Haut aus und schenkte sie dem Kauri. Der Baum tat es ihm gleich, zog seine Borke aus und schenkte sie dem Wal. Diese tiefe Verbundenheit kann man noch heute an der besonderen Haut bzw. Borke erkennen.

Kampf ums Überleben.

Wie schrecklich musste es für die Maori gewesen sein, als in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Kauris von britischen Invasoren geradezu abgeschlachtet wurden. Von zuvor 1,6 Mio. Hektar waren gerade mal 7.455 Hektar übrig, 95% wurden zerstört! Man rühmte sich, den mit 4.000 Jahren ältesten Baum Neuseelands gefällt zu haben. Er hatte einen Umfang von 26,8 Metern.

Heute sind die Kauris auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN. Ein eingeschleppter Pilz hat die Wurzeln der Bäume befallen – die Bäume sind nun vom Aussterben bedroht. Aus tiefstem Herzen hoffe ich, dass diese überaus besonderen Baumriesen als Brüder und Schwestern weiter unter uns verweilen dürfen.

Text und Bilder: Karin Himmelreich-Rades

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Elisabeth

    Liebe Karin
    Das ist ein wunderbarer Reisebericht. So viele Texte- soviel Wissen! So viel Liebe und Sorgfalt. WOW!!