
Wenn ich mit versierten EsoterikerInnen spreche, attestieren die mir gern mal, dass ich „zu sehr im Kopf“ sei. Stimmt, gebe ich zerknirscht zu. Schon immer. Wieviel Zeit ich als Kind und Jugendliche damit verbracht habe, mir Geschichten auszudenken! Welche opulenten Zauberwelten ich mir nachts erträumt habe, wie tief ich beim Lesen eingetaucht bin in diese anderen Welten und wie gern ich mir heute irgendwelche Konstrukte und Systeme ausdenke … Das passiert alles im Kopf.
Angesichts der KI, die gerade unsere ganze Gesellschaft im Sturm erobert, bin ich eigentlich ganz froh, dass bei mir soviel im Kopf passiert. Klar, die Maschinen erleichtern unser Leben, und ich möchte nicht zurück in vergangene Zeiten, wo ich die Wäsche der Familie per Hand waschen und die sechs Kilometer bis zum nächsten Dorf regelmäßig zu Fuß zurücklegen müsste. Manches, was früher essenziell war, habe ich nie lernen müssen. Einigen Arbeiten wären meine Muskeln gar nicht mehr gewachsen. Dafür habe ich gelernt, mit Computer und Handy umzugehen. Ich weiß, auf welchen Internetseiten ich nachschlagen muss, wenn ich etwas nicht weiß. Ich habe Zugang zu allem Wissen, was die Menschheit je herausgefunden und ersonnen hat. Wahnsinn!
Diese Vielfalt treibt mich tatsächlich hin und wieder in den Wahnsinn. Denn wie soll ich unterscheiden, was in dieser Wissensfülle stimmt und was Quatsch ist? Künstliche Intelligenz kann Bilder manipulieren, ja sogar täuschend echte Bilder erschaffen, die dann wie der Beweis für etwas daherkommen, was eigentlich gar nicht stimmt. Und wer die Studien zum Social Media-Konsum und der damit verbundenen Hirnaktivität kennt, kann sich vorstellen, wie leichtfertig wir beim Scrollen solche manipulierten Nachrichten für bare Münze nehmen. Zurück zu den Esoterik-Gurus vom Anfang. Sie raten generell: „Vertrau auf dein Gefühl!“
Gefühle schätze ich sehr. Ich glaube, ohne Gefühle ließen sich die Tore zu den Traum- und Anderswelten gar nicht erst aufschließen. Aber als Argument in einer Diskussion – zum Beispiel über den Klimawandel – zählt es wenig, wenn ich mich einzig darauf berufe, dass ich ein ungutes Gefühl bei der Sache habe. Als Lösung schlägt mir mein Gefühl vor: „So lange schreien und toben, bis die anderen ein Einsehen haben.“ Wenn das nicht hilft: „Weglaufen!“ Aber wohin?
Verhaltensforscher wie Carel van Schaik sagen: In Krisensituationen, die uns in die Enge treiben, die die Angst in uns schüren und zugleich aber absolut neu sind … gerade in solchen Situationen reagieren wir spontan eher in alten Mustern. Aber meistens sind es nicht die eingefahrenen Muster, die uns aus solchen Situationen befreien. Sondern der Verstand. Nur mit seiner Hilfe können wir unbeschrittene Pfade entdecken und neue Lösungen erarbeiten.
Ich finde es gefährlich, dass viele in der Eso-Szene den Verstand so verteufeln. Natürlich könnte ich einfach mal denjenigen, die mir Verkopftheit vorwerfen, meine Entrüstung zeigen. Da bin ich dann zumindest voll im Gefühl.
Autorin: Dagmar Steigenberger
Bild: Pixabay
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