Herbsttherapie am Fenster

Es ist Herbst, und ich geniesse diese besondere Jahreszeit. Die Tage sind feucht, nass und oft wolkenverhangen. Ich mag es, wenn die Blätter vom Regen schwer auf dem Boden liegen und die Luft voll von der feuchten Kühle des Morgens ist. Es ist ruhiger geworden draussen, die Herbstferien haben begonnen und viele Vögel sind bereits in den Süden gezogen. Nur noch die Milane ziehen beständig ihre Kreise, während ich am Fenster sitze und hinaus in den nebelverhangenen Morgen schaue.

Die Farben des Herbstes sind intensiver geworden. Das tiefe, erdige Gelb der Blätter, ein warmes Orange, das kräftige Rostrot – dazwischen das dunkle Immergrün, das den Wandel der Jahreszeit begleitet. Diese Ruhe, die der Herbst mit sich bringt, ist unvergleichlich. Alles bereitet sich langsam auf den Winter vor. Die Nächte sind länger und ich schlafe besser. Die modrige Luft im Wald erinnert mich an etwas Uraltes, tief in mir. Es riecht nach Moos, feuchter Erde und Pilzen. Der Fellwechsel der Tiere kündigt den nahenden Winter an, und auch ich spüre eine gewisse Vorahnung auf die bevorstehende Zeit der Ruhe.

Ich sitze hier mit einer Tasse Kaffee in der Hand und beobachte den Bauern, der oben am Hügel mit seinem Traktor über das Feld fährt. Er hat die Lichter an, weil der Nebel so dicht ist, aber ich kann ihn trotzdem noch sehen. Es scheint, als wäre er der Einzige, der heute unterwegs ist. Es wäre einfach, sich in dieser Entspannung zu verlieren. Ich frage mich, ob ich noch mehr von dieser Ruhe finden könnte, etwas, das mich noch tiefer in diese Gelassenheit führt. Vielleicht doch besser mit einer Tasse Tee, einer kuscheligen Decke oder dem Duft einer Räuchermischung auf dem Stövchen? Aber nein, ich bleibe hier und geniesse den Moment, so wie er ist. Der Herbst ist schön. Das genügt.

Ich liebe den Herbst. Er verlangt nichts mehr von mir. Ich denke nicht allzu fest über das vergangene Jahr nach, an das Gute oder Schlechte, und ich hoffe auch nicht auf einen langen oder kurzen Winter. Es gibt keinen Samen mehr zu pflanzen, keine Pläne zu schmieden. Ich denke nur an meine Kinder und merke, wie gross sie geworden sind. So vieles sollte noch getan werden. Aber jetzt, in diesem Moment, ist es unwichtig. Der Herbst lässt mich den Augenblick schätzen.

Während ich durch das Fenster auf unseren Holunder schaue, sehe ich, dass er dieses Jahr keine Beeren trägt. Der viele Regen im Frühjahr hat verhindert, dass die Insekten die Blüten bestäuben konnten. Es war kein gutes Jahr für die Pflanzen, nicht nur bei uns. Überall auf der Welt kämpft die Natur mit den Launen des Wetters. Doch der Herbst zeigt mir, dass die Natur immer im Wandel ist. Die Erde macht, was sie immer getan hat, sie passt sich an. Sie erneuert sich.

Dann sehe ich mich im Zimmer um. Auch hier habe ich Herbstfarben gewählt – Senfgelb, Weinrot – wie die leuchtenden Farben der Bäume draussen. Es ist, als bräuchte ich den Herbst das ganze Jahr über. Die Sehnsucht nach Ruhe und Beständigkeit trage ich das ganze Jahr über mit mir, in den Farben des Herbstes, die mich umgeben.

Noch einen Moment verweile ich in diesem Gefühl, schaue nach draussen und stelle mir vor, wie ich die feuchten Tannenzapfen in meiner Hand spüre oder die verwelkten Stängel der Brombeeren mit ihren Dornen. Alles fühlt sich nass und kalt an und bereitet sich auf den Winter vor. Ich bin hier, in diesem Moment, in dieser Jahreszeit.

Der Herbst ist ein Teil von mir, und in dieser Stille finde ich die tiefste Entspannung.

 

Autorin und Foto: Belinda Capobianco

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Christine

    So wunderbar geschrieben und so dem Herbst-Moment hingegeben. Ich liebe deinen Text und diese Tiefe darin. Danke 💛