Geben & Nehmen

Eine absurde Idee

Es ist eine Zeit, um tiefer zu tauchen und in diesem Fall wird es in der Tiefe nicht dunkler, sondern klarer, feiner unterscheidbar. Denn patriarchales Denken ist mir unendlich vertraut, es ist so normal und manchmal erscheint es auf den ersten Blick richtig und schön.

Da gibt es zum Beispiel folgende Aussage: Beziehungen beruhen auf Geben und Nehmen. Das System strebt immer nach Ausgleich, Balance und Harmonie. Klingt gut, oder? Wenn ich das lese, fühle ich mich zustimmend nicken. So habe ich es auch gelernt.

Erst jetzt erkenne ich, wie perfide diese Idee ist. Nehmen wir an, eine Person gibt mir etwas, sie bringt etwas für mich zur Post, weil ich krank bin. Dann fühle ich mich in der Schuld und habe den Impuls, etwas für diese Person als Ausgleich zu tun, ich lade sie demnächst zu mir zum Essen ein. Dann hat diese Person wiederum das Gefühl in meiner Schuld zu stehen – und so weiter.

In diesem System beruhen Beziehungen auf dem Gefühl von Schuld und meine innere Aufmerksamkeit ist darauf ausgerichtet, ständig zu kontrollieren, ob ich überall im Plus bin, oder wo ich etwas unternehmen müsste.

Jetzt wird mir klar, warum unser Geldsystem auf Schuldscheinen aufgebaut ist, es ist die logische Folge unserer Beziehungsidee. In diesem System ergeben Rache und Krieg einen Sinn, denn es geht darum einen Ausgleich für Taten zu schaffen. Das nennen wir dann Gerechtigkeit – das System ist in Balance. Diese Beziehungsidee ist absurd.

Wer in die Natur schaut merkt bald, dass es niemals um Geben und Nehmen geht. Es gibt so etwas wie direkte Konsequenzen: Wenn ich die Zimmerpflanze nicht gieße, dann vertrocknet sie. Aber es ist nicht so, dass ich die Pflanze gieße und sie schenkt mir ein neues Blatt, dann dünge ich sie und sie blüht für mich.

Wir haben eine Beziehung, weil wir miteinander sind. Der Austausch geschieht biologisch in jeder Minute ganz von alleine. Ich atme ihren Sauerstoff ein und das Kohlendioxid aus, welches ein Teil ihres Blattes wird. Das ist kein Vorgang zwischen zwei Wesen, sondern zwischen allen. Wir verwandeln uns ständig ineinander.

Ich bin also ganz selbstverständlich in Beziehung, weil das Leben so ist, dass wir miteinander wirken: Ich, die Topfpflanze, der Berg, die Lebensmittelmotten … Dafür muss ich nichts bewusst unternehmen, dafür muss ich mich nicht bemühen.

Ich gebe, und dann kommt vielleicht von einer ganz anderen Seite eine Unterstützung. Wenn ich empfange, fließe ich über und verschenke mich. Ich spüre, es gibt eine Art von fließender Balance, die unendlich komplex, flexibel und vielschichtig ist, der Austausch allen Lebens über lange Zeiträume gesehen. Das fühlt sich für mich von Grund auf anders an.

Was heißt es für meinen Alltag? Es ist ungewohnt, kein schlechtes Gewissen zu haben, nicht meine Fühler rund um die Uhr auszubreiten und nach Fehlstellen zu suchen, wo ich wem etwas schuldig bin. Meine Schultern entspannen sich. Ich spüre mich mehr, nehme meine Bedürfnisse eher wahr. Das ist aufregend und fühlt sich fast schon frivol an. Ich helfe mit Freude. Ich vertraue darauf, dass ich getragen bin. Herzklopfen.

Was würde diese Vorstellung von empfangender, verschenkender, zusammenwirkender Beziehung für ein Wirtschaftssystem nach sich ziehen? Welche Formen des Zusammenlebens würden entstehen? Meine Fantasie wandert.

Autorin und Bild: Thea Unteregger

 

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