
Ich grabe und grabe und grabe im matschnassen Schlamm ein tiefes Loch und suche nach Gold. Ganz unten finde ich’s, zeitgleich fällt ein Goldschleierregen vom Himmel. Ich stehe da mit ausgestreckten Armen und die feinen, transparenten Fetzen gleiten durch mich hindurch, sie erinnern mich ein wenig an geöffnete Bonbonpapierchen, wie Nebelschwädchen. Ein Moment von Leichtigkeit stellt sich ein, ein tiefer Seufzer, ein Lächeln. Ooh, wie ich dies geniesse!
Was für ein Jahr, soviel Arbeit, soviel Carearbeit, und so viele alte Kisten stehen noch rum zum Ausmisten, es scheint kein Ende zu nehmen. Ich muss aufpassen, dass ich nicht untergehe und nicht vergesse zu ernten.
«Ja genau, ernten!» Sagt die schrullige Alte mit etwas krächziger Stimme und mahnend gehobenem Zeigefinger. «Es herbstet schon mächtig da draussen.» Sie hat recht. Die Bäume hängen voller Früchte und der Boden ist übersät mit Nüssen. Aber nicht nur das, ich ernte Dankbarkeit. So vieles, was ich erlebt und bewegt habe in diesem Jahr, ich bin unglaublich dankbar! Auch wenn es noch nicht im perfekten Kleid dasteht, nein, hier ist noch ein Loch im Ärmel und da ein Klecks, und dort ein Zipfel zu viel. Doch jetzt ist mal gut, jetzt ist Erntezeit. Ich pflücke mit Freude die rotbackigen Äpfel vom Baum und geniesse den leckeren Kuchen, die süssen Trauben, Feigen und Zwetschgen, Himbeeren, Bohnen und Birnen. Ernten im materiellen und im immateriellen Sinne.
Ich spüre eine grosse Wärme in meinem Herzen, Dankbarkeit über tragende Freundschaften, über die Verbindung zu meinen Kindern, über so viel Unterstützung und Wohlwollen rundherum, über diesen schönen Ort zum Leben, diese Fülle, über viele vertraute und neue Begegnungen, Dankbarkeit über die Freiheit, meinen eigenen Weg zu gehen, mein eigenes Leben zu leben. Ich habe Narrenfreiheit, es zu gestalten, yes, ich gestalte es.
Auch Klarheit ernte ich, glasklare Entschlossenheit, einmal mehr, mir in dieser dichten Zeit meine Inseln zu schaffen, um zur Ruhe zu kommen oder doch mir Zeit für kleine Verrücktheiten zu erlauben. «Ja, wirklich», sag ich mir, und ich habe feuchte Augen, weil es immer wieder so schwierig umzusetzen ist oder die Kraft mir fehlte.
Wie oft wollte ich abhauen in den letzten Monaten. Weg, fort, raus aus dieser wahnsinnigen Dichte. Doch mein Weg geht hindurch, unten in der matschnassen Tiefe liegt das Gold und das Tor zu mir selbst, immer und immer wieder geht es dahin, zu meinen tiefsten Bedürfnissen, die ich hüten muss. Etwas anderes bleibt mir nicht.
So schreibe ich Mitten in der Nacht diesen kleinen Text und morgen grabe ich meine Räucherschale aus den Kisten, um endlich unser neues Daheim zu räuchern.
Autorin und Fotos: Petra Meyer
Bild-Künstlerinnen: Rawe und Miranda Meyer
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