Gedanken-Gang
Die Landschaft, durch die ich gehe, trieft vor Nässe.
Neben den Schneeinseln schwimmen Pfützenseen in den Wiesen, die Töss rauscht zwischen dunklen Ufern um die Stämme der Weiden, die sie geflutet hat, und das Wasser des Kanals steht hoch. Überall liegen abgebrochene Äste und vereinzelt ganze Bäume, die unter der Schneelast zusammengebrochen sind.
Der Winter kam in diesem Jahr mit voller Wucht ins Tösstal und brachte Massen von Schnee. Er hat die Natur buchstäblichen einem Belastungstest unterzogen. Dies ist die Aufgabe des Winters: Zu überprüfen, was noch tragfähig ist, und was nicht. Die riesige alte Eiche am kleinen Kanal, die ich so sehr liebe, hat viel Holz gelassen. Äste von der Dicke meines Oberschenkels und mehr sind abgebrochen und haben andere mitgerissen. Das Gewirr der Äste am Boden sieht von weitem aus, als würden die Wurzeln des Baumes blossliegen. Es tut weh, die Verletzungen des Baumes zu sehen. Ich hoffe, er überlebt seine Wunden.
In solch einem Moment empfinde ich die geliebte Natur als gnadenlos. Dabei weiss ich ja, dass dieser Vorgang notwendig ist, um den Wald gesund zu erhalten. Dasselbe gilt für die Tierwelt und alle anderen Organismen, auch sie werden in Winter einem Stresstest unterzogen, und so manches alte oder kranke Tier überlebt den Winter nicht.
Und die Menschen? Sie, die sich im Winter in ihre geheizten Häuser verkriechen und auch im Januar Erdbeeren aus Übersee essen können, erleben im Moment etwas Ähnliches. Obwohl sie sich mit allen Mitteln der Technik und allen Errungenschaften der Medizin dagegen wehren. Wenn’s ans Lebendige geht, fällt es mir schwer, mich als Teil der Natur zu betrachten und denselben Gesetzmässigkeiten unterworfen zu sein wie die Pflanzen und Tiere. Wie können wir den Prozess, in dem wir uns als Menschheit befinden, akzeptieren ohne in Zynismus zu verfallen? Beim gestürzten Baum weiss ich, dass er zu Humus wird und seine Nährstoffe in einem jungen Baum weiterleben werden. Doch wozu soll der Tod eines Menschen gut sein?
Ich weiss darauf keine Antwort.
Was ich ahne ist, dass es helfen kann, mich als Teil der Natur und des grossen Ganzen zu betrachten. Dann werde ich so klein, wie ich in Wirklichkeit bin, die persönlichen Tragödien können in den Hintergrund treten und der Demut vor dem grossen Geheimnis des Lebens Platz machen.
Während ich durch diese Landschaft gehe, und diesen winterlichen Gedanken nachhänge, frage ich mich, wo hier die Lichtmess ist. Da wo der Schnee geschmolzen ist, weicht die Helligkeit erst einmal der Schwärze der nassen Erde, während am Himmel dunkle Regenwolken dräuen. Und doch ist die Luft mild, der Regen hat die Schneemassen erstaunlich schnell zum Schmelzen gebracht, und die Erstarrung des Winters ist ins Fliessen geraten.
Und dann blitzt in all dem Schwarz und Weiss auf einmal ein blauer Pfeil auf. Ein Eisvogel, Krafttier meines Stirnchakras und meiner Visionen, fliegt im Gebüsch über dem Kanal auf und verkündet in aller Klarheit: Lichtmess kommt!
Text:Elisabeth Rolli
Fotos: Elisabeth Rolli, Belinda Fewings Unsplash
Liebe Elisabeth,
Deine Sprache ist fein und ehrlich. Die Frage “wohin” mit uns Menschen in dieser Zeit ist angemessen. Das Virus eine Närrin vielleicht ? Eine, die uns in die “Wurzeln zwingt” ? Dein Text nimmt mich mit auf die Reise von Sinn und Unsinn.
Danke dir .
Ja manchmal habe ich schon das Gefühl ich höre jemanden leise lachen, wenn die Menschheit verzweifelt versucht, mithilfe von Statistiken und Diagrammen ein Gefühl der Kontrolle über den unsichtbaren “Feind” zu erlangen…
Liebe Elisabeth Brennende Wälder in Gebieten von riesigem Ausmass der “Grünen Lunge unserer Erde”, das Virus, das die Lungen zuerst angreift. Bei mir ist es eine Zeit der Inneninventur. Achtsam, die Sinne schärfend, liebend, mitfühlend, …. es ist eine Frauenbewegung universellen Ausmasses. Gelegenheit sich neu auszurichten. Egal welche Hautfarbe, welche Nationalität, welche Religion, WELCHES GESCHLECHT. Zeit, zusammen zu stehen und unseren Lebensgrundlagen, allen voran den Bäumen, der Biodiversität und den Korallenriffen ernsthaft Sorge zu tragen. Und dem Frieden! All unsere kleinen, noch so unbedeutend erscheinenden Handlungen haben Wirkung auf’s Grosse Ganze. Vor allem die, uns selbst gegenüber. Ich habe so Vieles in mir wieder entdeckt und weiss, ich möchte einfach nicht aufhören zu lernen. Ent-wickeln und neu gestalten. Viel mehr im Kreislauf der Natur. herzlich Heidi