Die Stirn bieten

Es hat nun also 3 Monate gedauert, bis das Grässliche aus den Löchern gekrochen kam und mich direkt konfrontierte. Dass es existiert, wusste ich eh. Nicht, dass ich mich daran nicht schon gewöhnt hätte – als sichtbare, nicht schweigende und offen linksfeministische, alleinerziehende Frau ist es mir ab und zu passiert in der Vergangenheit. Überall.

Man hat mir immer wieder gesagt, dass ich als Geschäftsfrau oder auch als Mutter «neutral» sein soll und etwas stiller und etwas weniger «zu». – Weniger unbequem. So wie eine Frau halt zu sein hat im rechtskonservativen Thurgau. Bloss nicht widersprechen. Bloss nicht aktivistisch sein.

Wie lange war ich Barfrau und wie hatte ich es damals schon satt zu gefallen, wenn sich manche herausgenommen haben, über mein Dasein und über meinen Körper zu urteilen.
Nun, ich habe kein Interesse an diesem Tausch – Unterwürfigkeit gegen Duldung – das Bild von Everybody’s Darling können jene Frauen bedienen, die das heute noch nötig haben.

Den Rassismus hinterm Gartenhag kenne ich auch längst. Wird man ja wohl noch sagen dürfen. Im Volg hier verteidigen sie idiotisch ihre Mohrenköpfe und Zigeunerschnitzel und die «Weltwoche» in der Auslage, als würde ihr Leben davon abhängen. Versucht man darüber zu sprechen, gilt man als gestörtes Weib. Als «Gefährderin».

Ich bin stets zu Gesprächen bereit und offen, mit allen zu diskutieren, respektvoll. Dies tue ich sogar mit Freunden, die auf der anderen Seite politisieren. Wir lernen voneinander durch diese Gespräche, auch durch das Hinterfragen unserer Standpunkte. So verhindern wir letztendlich Extremismus, indem wir uns nicht ausschliesslich in einer Bubble bewegen.

Doch heute bin ich hässig. Linkshässig! – Erst nachträglich eigentlich, denn die Contenance habe ich bewahrt. Heute kam ein Troll in mein Geschäft. Erst erzählte er mir, dass er nun, trotz der bösen Schwätzereien über mich im benachbarten, eher bürgerlichen Restaurant, einmal selber schauen wollte, wie das so ist hier. Akzeptierte ich wohlwollend und redete ein bisschen mit ihm. Kurz darauf sagte er: «Ich bin ein Rassist.»
Meine sichtbare Mitarbeiterin aus Marokko trägt Kopftuch und war vor Ort. Es war also ziemlich klar, dass solche Äusserungen hier verletzen. Nicht nur mich. Ich fragte extra noch einmal nach: «Wie meinst du das genau?» Er wiederholte den Satz.
«Ich bin ein Rassist.»

Ich therapierte ihn hinaus, indem ich zu ihm sagte, dass ich ihm sein Getränk schenke, weil ich kein Geld von Rassisten nehme. Und dass er dahin zurück soll, woher er gekommen ist, jetzt jedoch mit einem echten Grund zum Lästern.
«Ich komme nie mehr!», sagte er.
«Freut mich», entgegnete ich.

Darüber muss ich sprechen. Dass Rassismus ein Thema ist, dass Rassismus existiert, egal wie schön man es sich redet und behauptet, dass es übertrieben sei, dies jetzt noch zu thematisieren in unserer heilen Welt. Dasselbe gilt für Antisemitismus.
Hinterm Scheissgartenhag wird man ja wohl noch munkeln dürfen, wie einem der Schnabel gewachsen ist!

Gerade in der Gastronomie werde ich seit Anbeginn immer wieder damit konfrontiert. Ich nehme das persönlich und werde es nie dulden oder weghören. Hier wird nichts unter den Teppich gekehrt!

Gopf!

Wir haben es nachher besprochen am Arbeitsplatz. Auch mit meiner Tochter habe ich es später besprochen. An beiden Orten kam: «Wie kann ein Mensch nur so sein?»
Wir hinterfragen, was wir nicht verstehen, um es besser greifen zu können. Dabei müssen wir das gar nicht. Es gibt keinen Grund, das Verhalten von Rassisten abzuschwächen durch solche Fragen. Sie sind Täter, fertig diskutiert. Dass aus Worten Taten werden, haben wir oft genug gesehen im Laufe der Geschichte.

Diese Salonfähigkeit.
Dieses «wird man ja wohl noch sagen dürfen!», und dass wir heute immer noch über dieselben Themen diskutieren, macht mich manchmal fertig. Dass die Rassisten und Antisemiten zeitweise ganz genau wissen, in welcher Grauzone sie sich bewegen dürfen, um die Grenzen des Sagbaren nach und nach zu verwischen. Dies ist eine Taktik. Vielleicht nicht die des einfachen Wutbürgers am Stammtisch, welcher übers Ziel hinausschiesst.

Es gehört zum Instrumentarium jener, welche diesen kleinen dummen Mann manipulieren, um seine Stimme zu erhalten und an sein Geld zu kommen.

Vor wenigen Tagen äussert sich eine Frau aus der Nachbarsstadt gegenüber einem Bekannten: «Bei mir kommst du halt so eindimensional jüdisch rüber.»

Nach einer Welle der Entrüstung stellt sie sich selbst als Opfer dar und bemerkt, dass «die Anderen» doch auch keine so reine Seelen besässen.

Womit sie ausnahmsweise sogar Recht hatte. Ich persönlich erhebe überhaupt nicht den Anspruch darauf, als rein und fehlerlos zu gelten. Wäre ich rein, würde ich die Klappe halten und lächeln.

Dies spare ich mir jedoch auf für den Schluss meines Lebens.

Autorin: Melanie Wenger
Foto: Dana Wenger

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Dagmar

    Chapeau und weiterhin so viel Standhaftigkeit und Mut, liebe Melanie!