Die Schwarze Göttin

Ich bin die Schwarze Göttin

Ich tauchte da auf, wo drei Kontinente zusammenkommen, im fruchtbaren Halbmond der Erde. Aber natürlich hatte ich schon immer existiert.

Ich trug einen goldenen Armreif und meine Wohnung war der Weltenbaum. Als der Weltenbaum gefällt wurde, wurde die Welt in Himmel und Erde geteilt, aus dem Holz des Baumes wurden ein Thron und ein Bett gebaut und ich floh in die Wildnis. So kam die Spaltung in die Welt, und was vorher Ganz gewesen war, war es nun nicht mehr, und was Gleich gewesen war, wurde Ungleich.
Die Männer bekamen den Thron, und die Frauen das Bett, Männer den Himmel und Frauen die Erde, und das Eine wurde über das Andere gestellt. Das war die Geburtsstunde der Dämonen.

Als der Weltenbaum mit seinen Wurzeln, die in die Untere Welt griffen, und mit seinen Ästen, die die Obere Welt trugen, die Welten zusammengehalten hatte, habe ich in seinem Stamm gewohnt, der alles verband, und alles war Ganz.
In dieser Zeit wussten die Männer und Frauen, dass Jede und Jeder sein ureigenes Licht hat, das nur ihm oder ihr gehört und niemand hätte es gewagt, das Licht eines anderen anzutasten. Jeder Mensch war sich selbst und frei, zu nehmen und zu geben, wie es ihr oder ihm gefiel, und Ja war Ja und Nein war Nein.

Doch bei der Spaltung wurde das JA und das GEBEN den Frauen zugeteilt und fortan waren auch die Frauen gespalten. In die hellen, strahlenden Frauen, die «Ja» sagten und alles gaben, was von ihnen verlangt wurde. Und in diejenigen, die sich dunkel an meine Ganzheit erinnerten, die Ja und Nein sagten, und gaben und nahmen, wie es ihnen gefiel. Das aber war inakzeptabel.

Nichts wurde unterlassen, um sie in die Schranken zu weisen. Sie sollten «Ja» sagen und geben, was immer von ihnen verlangt wurde, und die Freude derer, denen sie gaben, sollte ihnen Lohn genug sein.

Aber die Ganzheit als Prinzip ist unzerstörbar und ich, die schwarze Göttin, bin seine Verkörperung. Um die Unversehrtheit zu schützen, ist mir jedes Mittel recht, ich bin eine Göttin, meine Mittel sind grenzenlos. Ich, die Schwarze Göttin, war im Exil und tanzte mit den Dämonen, die aus der Spaltung entstanden waren. Ich vergnügte mich mit ihnen und gebar immer neue Dämonen, je vielfältiger die Anfeindungen gegen mich wurden.
Und je wütender die Angriffe auf meine Ganzheit, umso furchterregender wurde meine Gestalt. Ich wurde Königin der Dämonen, die Königin der Hexen und Königin der Kindsmörderinnen und der teuflischen Verführerinnen, die die mächtigsten Männer in mein Bett und von da ins Verderben stürzten.

Ich bin da, ich war immer da.

Wenn die Frauen bluteten, erinnerte sich ihr altes Wesen an mich, die schwarze Göttin der Ganzheit. Ihr Blut erinnerte sie daran, dass es den Frauen eigen ist, zu bluten ohne Wunde, mitten aus ihrer Unversehrtheit heraus. Und das rief ihnen die schreckliche Wunde ihrer Spaltung ins Gedächtnis. Der Dämon des Blutes erinnerte sie plötzlich wieder daran, dass Frauen nicht da sind, um zu geben, sondern um zu sein. Und so manch eine bekam plötzlich Borsten und Ausdünstung eines Stinktiers und holte mit der Pfanne aus, aber nicht um das Omelett zu wenden. Und noch während sie auf dem Scheiterhaufen brannte, gebar ich den nächsten Dämon.

Der Kampf ging weiter. Es gab keinen Sieger, das gibt es nie. Erde und Frauen, durch die Spaltung zum Geben verdammt, gaben und gaben. Und wurden immer leerer und wütender.
Die Nehmenden indes kannten keine Grenzen des Nehmens mehr, denn das Geben war ja abgewertet wie die Frauen, denen es zugeteilt worden war, und mehr war schliesslich mehr. Von selber würden sie mit dem Nehmen nicht aufhören, denn sie würden die letzten sein, die den Preis dafür bezahlen.

Und während die Schere immer weiter aufgeht, während die Pole auseinanderdriften, während der Himmel sich immer weiter von der Erde entfernt und die Hölle sich auf Erden breitmacht, stellt sich die Alles entscheidende Frage:
Wie können ein Thron und ein Bett wieder zu einem lebendigen Baum werden?

Ich bin da, ich bin immer da. Aber wer sieht mich? Wer hört mich? Wer ruft mich? Wer fürchtet mich und warum? Derjenige, der teilt, um zu herrschen? Ich bin die Ganze, diejenige, die die Kunst beherrscht, nicht nur gleichviel zu geben, wie ich nehme, sondern auch gleichviel zu nehmen wie ich gebe.
Es gibt ein einfaches Wort, mit dem mich die Frauen rufen können. Es ist alt und mächtig und beinahe ausgestorben wegen seines bösen Ruchs. Es lautet: NEIN.

Es ist nicht nötig, damit zu warten, bis es vor lauter «Jas» zu einem Dämon geworden ist. Jeder Dämon verwandelt sich in pure Lebenskraft, wenn er seinen Platz bekommt. So wie ich. Es ist das Zauberwort, das Vergessene, Abgespaltene, das ich euch lehren will.
Und es wird nicht nur die Frauen heilen, die in ihrer glorifizierten Mutterliebe geben und geben, sondern auch die Erde, die zum gleichen Schicksal verdammt ist. Denn wie sollen eure Kinder lernen, dass die Erde nicht immer nur geben kann, wenn nicht einmal ihre Mutter etwas verlangt für das, was sie gibt?

Die Zeit ist reif. Wartet nicht, bis sie verfault.
Sprecht es aus.
Jetzt.
NEIN.
Und kein Aber.

Und dann wird auf einmal auch das JA wieder Ganz.

Text und Fotos: Elisabeth Rolli
Und die wild gespenstisch schönen Kollagen sind von Vera May Rolli

Dir gefällt was wir machen… dann bring uns ins Netz. Danke

Facebook
WhatsApp
Email
Pinterest
Twitter
LinkedIn
Telegram
  • Beitrags-Kategorie:Am Feuer / Magazin
  • Lesedauer:6 min Lesezeit
  • Beitrags-Kommentare:7 Kommentare

Schreibe einen Kommentar


The reCAPTCHA verification period has expired. Please reload the page.

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. PETRA

    Frisch, frech, kraftvoll, inspirierend! Ich liebe deine Texte Elisabeth! Danke

  2. Dagmar

    Ich lese deinen Text wie ein Kunstwerk, ein Gedicht. Ein sehr zeitkritisches, aktuelles, denn wann wird wohl dieses Jahr der „Earth Overshoot Day“ sein? Meistens ist dieser Tag, an dem der Erde mehr genommen worden ist als sie in dem Jahr nachproduzieren kann, Anfang August.
    Also: Nein sagen lernen. Laut! Ich bin dabei, liebe Elisabeth.

  3. Christine Kostritza

    Das Sommermädchen ist völlig unverhofft in das Reich der Schwarzen Göttin gehüpft, ahnungslos. Der mächtigen Thron aus den 4 Buchstaben und das tief gespaltene Land hätte sie fast aus dem Rhythmus gebracht. Gerade noch mal gut gegangen, denn Hüpfen ist eine sehr mächtige Medizin. Im Land der DämonInnen verlernt man ganz schnell das Hüpfen, geht ja auch gar nicht. Und vor allem kriegt man mit der Zeit eine Sauwut und aus dem Stamm wird ein Graben. Hüpfen macht frei, ist alltagstauglich und mit der Sommermaus im Täschchen kann man sogar die eigenen, fast schon unsichtbaren Risse im eigenen Land aufspüren. Nicht schön aber auch nicht schlimm, wenn man Hüpfen kann. Man sagt, die Schwarze Göttin könnte bereits rückwärts ( ganz schwierig) von ihrem Thron Hüpfen. Und sie macht jetzt eine sauschöne Sommerpause.
    Liebe Elisabeth, das Sommermädchen wollte einfach seinen „Senf“ dazugeben. So sind sie halt ! 🧚‍♀️🧚‍♀️🧚‍♀️💃🏄‍♀️🤹‍♀️😊

  4. Elisabeth Rolli

    Liebe Frauen und Sommermädchen!
    Danke für Euren Senf, so schmeckt der Käse doch erst richtig😊
    Ich bin jetzt auch endlich übers Mittsommerfeuer gehüpft und im Sommer angekommen. Das war tatsächlich ein magischer Hopser🔥💃✨

  5. Suzane

    Herzdank für diese so essenzielle Nein-Kraft.