Die Macht der Elfen

Wie das Huldufólk die Natur Islands schützt

Vorneweg: Ich will nicht behaupten, dass Island durch und durch als Vorbild dienen kann. Als Märchenerzählerin finde ich aber den Grundgedanken der folgenden Begebenheiten erzählenswert und inspirierend.

Glaubst du an die Existenz von Elfen? In der Welt der Viertausender löst diese Frage einen Blick aus, der klar sagt „So, jetzt dreht sie völlig ab, die Märchenschwester“. Im Oberwallis gibt es keine Elfen und Feen. Hier erzählt man sich von Zwergen und vielleicht noch vom einen oder anderen Riesen, von Spukgestalten und armen Seelen. Aber niemand mehr nimmt auch nur ein Fitzelchen von den alten Geschichten ernst oder interessiert sich dafür, warum sich unsere Ahnen diese oder jene Begebenheit erzählten. Hier werden Sagen hauptsächlich zur Unterhaltung vorgetragen. Sich gruseln, amüsieren oder (tragisch!) sich lustig machen über die „primitiven Menschen von anno dazumal“ und deren Glaubens- und Weltvorstellungen. (Ich übertreibe natürlich ein wenig. Ich kenne, entgegen der gängigen schweizerischen Annahme, tatsächlich nicht jeden einzelnen Menschen im winzigen Oberwallis. Und es gibt sicherlich in allen Ecken und Seitentälern ein paar Ausnahmen.)

In Island dagegen ist der Glaube an das Huldufólk, das verborgene Volk, noch immer lebendig. Es ist keine Religion, kein Hokuspokus. Es ist ein Glaube an die Natur. Es sind tiefverwurzelte Erinnerungen, die bis zu den ersten Siedlern zurückreichen, am Leben erhalten durch Märchen und Sagen, die noch heute erzählt werden. Einverstanden, der ganze Elfenzauber dient auch touristischen Zwecken. Elfenschule, Elfenfeste, Elfenwanderungen und weiss der Troll was noch alles man in den Ferien in Island erleben und buchen kann. Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle das sich hartnäckig haltende Gerücht von einer Elfenministerin. Eine Seherin, die auf höchster politischer Ebene die Stimme des Elfenvolkes vertrete.

Hintergrund ist ein Interview, das Mitte der 1990er Jahre erschienen ist. Darin bezeichnete sie der Autor als «Elfenbeauftragte». Er dachte, das sei ein weniger schrullig wirkender Begriff als Medium oder Seherin. Aber heute wissen wir: Dieser Hexenschuss ging nach hinten los.

Es gab diese Seherin zwar. Erla Stefánsdóttir war ihr Name. Sie wurde manchmal um Rat gefragt, sogar von Stadtverwaltungen, wenn es auf Baustellen Probleme gab. Probleme, die eventuell von Álfar (Elfen) verursacht sein konnten. Und ja, Elfensteine wurden umfahren, Baupläne geändert. Aber eine offizielle Beauftragte gab es nie, geschweige denn eine Ministerin.

Erla Stefánsdóttir, die selbst aussah, wie eine aus dem verborgenen Volk (Sparte Riesen), hatte Elfenkarten gezeichnet. Darin katalogisierte sie Lebensräume der Naturwesen und belegte diese unter anderem mit Legenden, Sagen und Märchen. Auch für die Stadt Hafnarfjörður existiert so eine Karte. In der Hafenstadt sollen ganz besonders viele dieser verborgenen Wesen leben. Wegen ihrer Lage war die Stadt schon immer begehrt und umkämpft. Sie wird sogar im Landnámabók, einem altisländischen Text über die Besiedelung Islands, erwähnt und blickt somit auf eine reiche Vergangenheit zurück. Nicht verwunderlich also, dass gerade hier das verborgene Volk eine Heimat hat.

In Hafnarfjörður lebt auch Silja Gunnarsdóttir. Sie ist Erzählerin und führt Menschen aus aller Welt zu legendären Stätten, wie dem Palast der Elfenkönigin. Dieser liegt nicht weit vom Stadtzentrum. Es handelt sich um eine grosse Felsformation. Hamarinn ist der isländische Name. Weil sie, gemäss überlieferten Geschichten, von der Elfenkönigin und ihrem Gefolge bewohnt wird, ist sie ein geschütztes Naturdenkmal; eines von vielen in Island. «Der Glaube an die Anderswelt-Wesen hat viel mit Respekt vor der Natur zu tun», erzählt mir Silja. «Noch heute nehmen Isländerinnen und Isländer bei Bauvorhaben Rücksicht auf das Huldufólk. Im Laufe der Zeit haben wir gelernt, dass es nichts Gutes bringt, wenn wir sie mit unseren Eingriffen in die Natur unglücklich machen. Denn es ist auch ihr Zuhause. Viele fragen die Naturwesen um Erlaubnis, wenn sie ihre Gärten verändern wollen. Auf diese Weise zeigen sie der Natur den Respekt, den sie verdient. Die Natur kann nicht unendlich viel geben, dessen müssen sich die Menschen bewusst sein.»

Die Märchen und Sagen um das verborgene Volk waren nie blosse Torffeuer-Unterhaltung. Sie spiegeln die Naturverbundenheit der Inselbewohner wider. «Wir verdanken der Natur unser Leben und manchmal fordert sie auch unseren Tod.» Die Natur auf der Insel könne unberechenbar und hart sein, sagt Silja weiter. «Unsere Vorfahren mussten mit dem Wetter kämpfen und ihr Bestes geben, um hier zu überleben.» Es habe Jahrhunderte gebraucht an Ausdauer und Widerstandsfähigkeit, um in guter Verbindung mit der Natur und ihren Kräften zu stehen. Das sei auch heute noch wesentlich.

Moderne und Technologie haben uns vorgegaukelt, dass eine Kommunikation mit der Natur nicht mehr nötig sei. Die Welt bewegt sich jeden Tag schneller und schrumpft zusammen auf ein kleines Gerät namens Smartphone. Auf dem Kontinent hat die Verbindung zur unmittelbaren Natur hat kaum Bedeutung mehr. Verbindung zur nächsten G5-Antenne ist wichtig. Auf der Insel von Eis und Feuer dagegen ist man sich der Kraft und Wirkung der Natur bewusst. So sagt Silja: «Der Aufenthalt in der Natur hebt unseren Geist und ist gut für unsere Seele. Deshalb ist es wichtig, die Geschichten zu erzählen, die uns mit dem Land, auf dem wir leben, verbinden.»

Da spricht mir Silja sehr aus dem Herzen. Auch ich würde mir wünschen, dass die Geschichten verknüpft werden mit den Orten, den Menschen und den historischen Begebenheiten. Dass eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Überlieferungen geschieht, damit echte Verbindung möglich werden kann, Verständnis und Respekt.

Am Beispiel von Island sehen wir, dass Naturverbindung und -schutz möglich ist, ob man an das Huldufólk glaubt oder nicht. Sie haben die Geschichten ihrer Vorfahren bewahrt, weitererzählt und vor allem: verstanden.

Autorin: Luciana Brusa

Der Kupferstich, der einen Mann zeigt, der einer Frau (einer Elfe) in einen Abgrund hinterherspringt. Es handelt sich um eine Illustration zur isländischen Legende von Hildur, der Königin der Elfen. (1864)

Kupferstich: aus Isländische Legenden:
Gesammelt von Jón Arnason: Übersetzt von George EJ Powell und Eiríkur Magnússon, Richard Bentley, London, 1864.

https://books.google.com/books?id=qDAeAAAAMAAJ

https://en.wikipedia.org/wiki/Hulduf%C3%B3lk

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