Der Großmutter-Stein

Der Großmutter-Stein fängt leise und behutsam an zu summen. In seinem Inneren hütet er millionenalte Geschichten.

Nichts ging verloren und alles schwingt mit hinein in sein Tönen. Der tiefe Klang wird zu einem Ruf, einer Botschaft, erfasst andere Steine und gemeinsam komponieren sie ein feines Gespinst aus Erinnerungen.

Sie träumen sich hinein in alle Wesen und träumen sich hinaus in ihren Plan. In ihren tiefen Wunsch.

Die Hüterin des Großmutter-Steins nimmt ihn, diesen wunderbaren Stein mit seiner einzigartigen Zeichnung aus Kreisen, in ihre Hände und lauscht. Zeit lässt sie sich. Das Zwiegespräch ist immer ein großes Geschenk für beide.

Und dann vertraut sie ihrer Liebe. Ihrer Liebe zum Großen Ganzen, ihrer Liebe zur Mutter Erde, ihrer Liebe zum Kreis und ihrer Liebe zu sich selbst.

Der Großmutter-Stein und seine Hüterin treffen eine Entscheidung. Sie werden Frauen in den Kreis rufen. In den heiligen Kreis der 4 Richtungen: Für die Balance, für die Heilung, für das Ungezähmte, für die Würde, für die Vision und für den Mut.

Ein Medizinrad aus Steinen singt sich in die Seelenräume der Frauen.

Frauen, die schon viele Male ums Rad gegangen sind und die um ihre Medizin wissen.

Sie kennen ihre Furcht, sie würdigen ihr Narbengewebe. Sie können im Winter verborgene Nahrung aufspüren und sie haben ihrem Sommermädchen den wilden Ritt und die höchsten Bäume zurückgegeben.

Ihre Visionen und ihr Staunen über das Große Ganze wurden zu weiten Flügeln. Die Adlerin ist zu ihrer Gefährtin geworden.

Und es ist die Schattenarbeit, das Getrennt-Sein, die Trauer und das sich Wiederholende, das sie immer wieder ins Medizinrad ruft.

Und dann sind sie da!

Steine haben sie mitgebracht, vertraute und neu gefundene. Sie alle waren längst bereit.

Ihre Linien, Furchen, Farbwechsel und die jeweilige Herkunft werden zum Symbol für das, was jede Frau mitbringt. Und in ihnen wohnt auch die Kraft, die den Kreis zutiefst nähren wird.

Die Trommeln und Rasseln eröffnen die Zeremonie. Alle Helferwesen sind bereit. Ahninnen und Ahnen sind mit Freude und Liebe dabei, die Steine tanzen vor Glück und der Großmutter-Stein und seine Hüterin sind voller Respekt und großer Zuneigung.

Dann tritt Ruhe ein. Das Medizinrad wird gelegt!

Die Hüterin legt den Großmutter-Stein in die Mitte.

Der innere Kreis aus 7 Steinen wird um den Großmutter-Stein gelegt. 7 Schwestern – 7 Plejaden. Jeder Stein weiß, wo er hingehört. Der West-Stein wird als einziger hervorgehoben.

Nun die 4 Richtungen. 4 Pfade, die vom Großmutter-Stein ausgehen und 4 Schlußsteine. Sie sind das jeweilige Tor. Hier beginnt und endet jede schamanische Reise ins Innere des Medizinrades. Die Frauen sind äußerst wachsam. Sie vertrauen ihren Steinen und ihrer Intuition. Eine nach der anderen legt ihre Steine ab.

Nun noch der äußere Kreis. Der Raum zwischen den 4 Speichen wird gefüllt. Das Rad entsteht. Alle Steine sind auf ihrem Platz.

Mit Rasseln und Tönen wird das Medizinrad erweckt. Ein ergreifender Moment.

Ab jetzt geht jede Frau ihren Weg und doch gehen sie alle gemeinsam. Das Wagnis braucht den Blick, die Berührung, das Lachen, die Tränen, die Weisheit, das Wohlwollen in der Begegnung. Im Gesehen-Werden.

Die Frauen weben ein buntes, wildes, freies und überraschendes Netz miteinander. Und füreinander.

Der Westen ruft. Hier wird erkannt, geträumt und riskiert. Unbequem ist das Tor und unausweichlich. Gibt es eine Wunde, eine Urangst, ein nicht weichendes Hindernis, eine unkluge Blindheit, ein schuldhaftes Ausharren, eine überfällige Scham …?

Eine schamanische Reise geht hinein in die Höhle der Bärin, die für die Kraft, die Träume und die Selbstakzeptanz steht. Die Trommel der Hüterin ist voller Vertrauen. Die Frauen reisen in ihre Tiefen.

Was sich ihnen zeigt, ist mit heftigen Gefühlen verbunden: So nicht!

So nicht mehr!

Wie dann?

Was am Leben hindert, wird rigoros benannt. Eindeutig und mit kristallklarem Blick.

Was längst überfällig ist, wird in einem Fetisch gebündelt. Aus Naturmaterialien, Schnur, Spucke, Rotz und vollgekritzeltem Papier. Das Bündel bebt und jede Frau bebt mit. Die Entscheidung fällt im Schrei. Es ist genug!

Die Feuerfrauen stapeln das Holz. Die Frauen kommen zusammen. Jede mit ihrem Fetisch.

Und das Feuer beginnt zu lodern – innen und außen.

Der Kreis der Frauen hält den Raum. Jede tritt hervor und spricht ihre Wahrheit. Ihr Wissen. Ihren Weg. Tränen fließen.

Die Schritte zum Feuer sind aufrecht und kraftvoll. Jeder Fetisch wird dem Feuer übergeben.

Trommeln und Rasseln, Jauchzen und Johlen bestätigen die wilde Freiheit jeder Frau!

Der Großmutter-Stein beginnt zu singen. Die Steine beginnen zu singen. Und die Hüterin und die Frauen beginnen zu singen.

Sie gehen um das Medizinrad und spüren ihre Liebe zu sich selbst. Zu den anderen Frauen und zum Großen Ganzen.

Ein Fest wird gefeiert. Mit wilden Tänzen, goldenem Nagellack, frech-kehligem Gelächter und einer unbändigen Liebe zum Leben.

Autorin: Christine Kostritza
Bilder: Ursula Lüthi, Annette Roemer

Die Geschichte ist nach dem Seminar bei Susann Belz im August 2024 entstanden: Heilarbeit im Medizinrad

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