Das Lebenskessel-Weib

Etwas ruft mich – ich setze mich an die Tafel – an meine WunderlichkeitenZauberBank. Manchmal isses so ein Ruf, dann weiß ich noch gar nicht, was entstehen darf … und dann tauche ich ein … meine Hände, meine Finger tanzen das uralte Lied … und ich weiß nicht, träume ich, schlafwandle ich … denn ich sitze nun bei ihr … sie kam aus dem Hain der Ahninnen … ein Text, den ich schon vor einiger Zeit schrieb … hatten sie mir seinerzeit geflüstert … sie sind immer da … mit samtroten Gewändern, die zwischen den Bäumen hervorspitzen …

Setz dich zu mir, AhnAra.

Ich blicke mich um, keine weitere da. Ihr Blick stumm und voller Worte und ich verstehe, sie meint mich.

AhnAra?

Sofort spüre ich, dass Ahn für meine Verbindung, mein tiefes Er-Forschen meiner Ahnenlinie steht … und Ara? … stumm fragend blicke ich hoch …

Im Rauch des dampfenden, brodelnden Kessels schau ich sie mir genauer an … weiblich üppig sitzt sie da, doch eine Brust fehlt, eine Narbe kriecht schlangenähnlich zu ihrer Schulter hoch, einbrüstig sitzt sie da – eine Amazone.

Amazonen – davon hatte ich mal gehört, würden sich die eine Brust abschneiden, um den Bogen besser spannen zu können, eine Schildmaid, eine Birka-Kriegerin.

Fragen, Bilder, Texte schießen mir durch den Kopf.

2024, höre ich ihre leise Stimme, was warst du für ein Jahr. Es scheint, als ob sie den Dampf des Kessels selbst besprechen würde. Ein Jahr der Drachen – wild, feurig, voller Wendungen.
Du hast Herzen entzündet und Herzen gebrochen, murmelt sie, du hast Menschen gelehrt, Grenzen zu setzen und manche von ihnen hast du an den Rand gebracht.

Sie legt die goldene Schöpfkelle beiseite, greift in einen kleinen Beutel und wirft getrocknete Kräuter in den Topf. Ein süßer, erdiger Geruch breitet sich aus.

Aber du hast auch den Wandel gebracht; hast uns gezeigt, dass das Leben im Kreis verläuft und immer wieder neu beginnt.

Die FeuerFrau wirft erneut Kräuterstückchen rein … und NebelDampf entfaltet sich und es scheint, als ob das Jahr 2024 selbst in diesem Nebelschwaden tanzen würde, und da sind noch sie, die Gesichter von Frauen, die Ahninnen tanzen mit.

Mutter, Großmutter, Urgroßmutter und viele, die ich nicht gekannt hatte; sie tanzen, weinen, leiden, lachen, lieben. Ich sehe in den Schwaden des Lebens, wie jede gelebt hat, ihren Platz im Großen Mysterium gefunden hatte.
Doch ich, ich bin die Letzte. Diejenige, in deren Händen die Fäden enden … die letzte Lichtträgerin in der weiblichen Ahnenlinie.

Was bedeutet das? murmle ich, während der Rauch weiter Gestalten formt. Was soll ich sein, wenn es niemanden mehr gibt, dem ich diese Geschichten, das Wissen der Leben, übergeben kann?

Hexe?
Muse?
Schamanin?
Künstlerin?
Lebenskünstlerin?

Wie Echos – das Echo der Seele – klingt das in meinem System. Keines dieser Worte fühlt sich vollständig an, keines vermag den REICH-tum dessen zu erfassen, was ich bin und verkörpere – als Letzte in der Reihe.

Ich frage mich – fühlte und fühle ich deswegen nochmals alles – den Schmerz, die Ausgrenzung, den Verrat, den Verlust, das Neue, das Alte, das Unvorhergesehene und das Nie-Ausgesprochene, das, was verboten war zu fühlen, das, was verboten war zu sein in den dunklen Jahrhunderten (des Patriarchats)? Als Letzte in der mütterlichen Linie?

Du bist alles, was war, spricht sie, die knochige UrFrau am Feuer, doch es klingt, als würde es aus dem Kessel selbst ertönen, aus dem umliegenden Wald und als ob die Sterne und der Mond mit einstimmen würden.

Und alles, was sein wird. Du bist nicht nur die Letzte, sondern auch die Brücke.

Etwas in mir, AhnAra, bringt mich zum Nicken; ja, dieses Gefühl kenne ich aus meinen Träumen, aus meinen Seelenreisen. Ich spüre ein Kribbeln in meinem Herzen, dort wo die Narbe sich emporschlängelt.

Und in dem Moment breitet sich Klarheit aus … die Magierin mir gegenüber, ist der Spiegel – mein Spiegel – die Amazone, die BirkaKriegerin, Schildmaid – sie stehen als Symbol; es sind mystische Narrative, um die Stärke, den Willen der Frauen auszudrücken, die Mastektomien, Brustkrebstumoroperationen überlebt haben. Brustkrebsüberlebende werden oft als moderne Amazonen bezeichnet; ihre Narben werden dabei als „Kampfspuren“ wahrgenommen für eine gewonnene Schlacht, sie stehen für Mut und Überlebenswillen.

AhnAra. Die Narbe an meiner linken Seite, die mütterliche/weibliche Seite, da fühle ich ein warmes Leuchten, als ob all die Liebe und der Schmerz der Ahninnen sich dort gesammelt hätten. Ja, jetzt spüre ich es, und meine Hände formen den Körper des am Feuer sitzenden SpiegelWeibes.

AhnAra. Ich trage die Geschichten der Ahnen, die Liebe, den Schmerz, die Weisheit der Ahnen. Und das ist mehr als genug.

Eine mächtige Lärche, die gleich neben der Feuerstelle mit dem brodelnden Kessel in all ihrer Pracht manifest ist, rückt in meinen Bewusstseinsfokus. Ich lehne schon die ganze Zeit am Stamm der Lärche, während ich die Knochenfrau, die immer noch in der Suppe rührt, als würde sie in den blubbernden Blasen die Geschichten herauslesen, lauschend beobachte. Ich spüre sie jetzt intensiv, die Lärche, meine Baumlehrerin, meine Vertraute, in manch stillen Stunden und in lauten Nächten.

Lege deine Hände auf die Rinde. Spürst du die Zeichnungen? Spürst du durch die äußere Haut des Baumes die vielen Er-Lebnisse des Baumes, raunt das LebenssuppenWeib. Und dann murmelt sie zu der Lärche, die eins wurde mit AhnAra:

Nimm dies, nimm die Geschichten derer, die vor dir kamen.

Sie blickt AhnAra an und fordert sie mit einer Handbewegung auf, zur Lärche zu sprechen – flüstern – bitten – beten.

Nimm meine Liebe, die Fehler, mein Wissen und mein Brennen für Transformation und Heilung. Trag sie in deinen Stamm, in deine Wurzeln, hinab zu Mutter Erde.

Die Lärche scheint zu lauschen. – Der Wind, der durch die Äste streicht, verstummt, als ob er den Moment nicht stören wolle. Die Rauchschwaden, die eben noch beschwörend tanzten, halten an und ziehen sich zurück ins Innere des Kessels.

Die Wurzeln tief unter der Erde beginnen, diese Botschaft aufzunehmen, sie weiterzugeben, erst in die Erde, dann in die Mykorrhiza-Netze, die wie ein riesiges, lebendiges Netzwerk durch den Boden verlaufen.

Diese Worte, das Flüstern, die Energie darin fließen durch die Kreisläufe von Mutter Erde. Sie werden Teil des Wassers, das durch die Adern der Wurzeln aufsteigt, der Mineralien, die in den Boden zurückkehren und der Luft, die durch das Atmen der Blätter freigesetzt wird.

Das Flüstern, dein Flüstern, all dein durch dich gelebtes Leben und Lieben und all die Transformation und Heilung bleibt erhalten und webt sich ein in das Große Ganze.
Und darin liegt auch die Weisheit deines Seins; auch wenn du die Letzte deiner Linie bist, ist das Loslassen dein immaterielles Erbe.

Mutter Erde wird sie bewahren, flüstert sie leise, während sie in der Suppe rührt. Und eines Tages wird jemand kommen, der das Lied in der Rinde hört und die Geschichten wieder wachruft.

So schließt sich der Kreis – von den Ahnen durch das LebensSuppenweib – zu mir – in den Boden – und zurück in die kommenden Generationen.

Ein Flüstern, das niemals verstummt … haucht sie, während sie langsam aufsteht, die wärmende Decke aus Hirschhaut um sich legt und sich auf den Weg macht … in den Hain …

Ich blicke hoch … und da sitzt sie vor mir … geformt aus Papier, Liebe und Leim … mit großen Augen … und schwarzem, von Lärchenzweigen geschmücktem Haar … und es ist, als ob sie lächeln würde … zu mir … oder AhnAra?

Dankbar bin ich.

Teil dieses Zyklus zu sein.

 

Autorin, Kunststücke und Foto: Süsü Susanna Amberger

AhnAra: Kombination aus Ahn (Ahnen) und Ari (Herrscherin oder Stärke) - Erdentochter und Kriegerin, die mit der Weisheit und den Kräften der Ahnen verbunden ist. Der Name spiegelt die innere Stärke als auch die tiefe liebende Verbindung zu den Natur- und Mystikkräften wider.

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Dieser Beitrag hat 8 Kommentare

  1. Imke Pfeiffer

    Zauberhaft schön dieser Text. Er vibriert in jeder Zelle meines Körpers. Herzensdank dafür!

    1. Susanna

      Oh – vielen vielen Dank liebe Imke – das freut mich sehr – Herzensgruß Susanna – LaSüsü

  2. Sandra

    Liebe Susanna, meine Wertschätzung und meine Achtung vor dir. 🌀⭕️Danke.
    Diese Tiefe und Stärke…so berührend. Mit meiner Hand auf meinem Herzen les ich deine Worte und bin dankbar für ein Stück des gemeinsamen gehens im Kreis.
    Danke für dein Erbe, dass du der Erde lässt mit deinem wundervollen Sein. All deinen Facetten.
    ♥️ von Herzen, Sandra

    1. Susanna

      von Herzen Dank an dich liebe Sandra – wie schön, haben wir gemeinsam diese Reise erleben/verleben/LEBEN dürfen … Herzumarmung zu dir – Susanna-LaSüsü

  3. Mirsada

    berührt im Herz- berührt im Schoss- geformt im URkessel… Ich bin hier, am alten Feuer und wir nähren mit unserem Echo die Zeit…. DANKE Dir

    1. Susanna

      liebe Mirsada – DrachenSchwester und Pionierin – Herzensdank für sovieles, du weißt … und schön, für das gemeinsame Gehen jetzt schon so lang und facettenreich … ich freu mich jetzt schon auf den Sommer in den Bergen … Herzensgruß, Susanna-laSüsü

  4. Anna

    Danke dir von ❤en für diese Worte, tiefes Fühlen, tiefes Berühren, tiefe VerBindung.
    Herzumarmung ADUM

    1. Susanna

      Liebste DrachenWolfSchwester Anna – ich danke dir sehr für deine Worte und das gemeinsame Gehen 🙏🏻🫶🐺👸🏻