
Von Brombeerschnäuzchen und stramm gekleideten Männern
Die Sprache des Unbekannten
Lang nicht mehr habe ich so viele leckere Brombeeren gegessen, anscheinend sind die dornigen Triebe in diesem Jahr besonders gut gewachsen. Wie ich den Kurs “Natur als Spiegel” vorbereite, so begegnet sie mir immer wieder, die Brombeere. Wo ich gerne querfeld durch den Wald ginge, macht sie mir den Weg schwer, so einladend die Beeren, so undurchdringlich die Hecken. Sie stünden für Loslassen von Altem und öffneten Wege für Neues.
Ich erinnere mich an den Satz, der vor anderthalb Jahren in meinem Ohr hängegeblieben ist: “Nichts wird je wieder sein, wie es war.” Auch wenn dies ja eigentlich immer zutrifft, so war damit wohl etwas Besonderes gemeint. Das Wuchern der Brombeeren verbindet sich in meinen Gedanken ganz eigenmächtig mit dem aktuellen Zeitgeschehen und ich sehe im Spiegel die Angst vor dem Loslassen und das Unbekannte, das sich unweigerlich vor unseren Augen zu öffnen beginnt.
Die Alltagsrealität mit zunehmenden Einschränkungen verhakt sich wie Dornen in den Gemütern, und Rechthabereien verstricken die Menschen, wo sie sich doch so genüsslich verführen lassen könnten von den süssen Beeren. Die Brombeere wächst in Ruhe, dem Augenblick verborgen und zeitgleich in rasantem Tempo. Wohin sie wohl geht? Ihres Weges.
Ich sammle ihre Blätter und frage den Rauch. Sanftmut, Ruhe, Offenheit, Klarheit in der Ausrichtung. Leise erinnere ich mich daran, wie sich in mir während der zehntägigen Auszeit des Krankseins ein Gefühl breit machte von “Ich werde danach nicht mehr die Alte sein”.
Wohltuend hat es sich angefühlt, als würde endlich ein lang verhockter Damm aufbrechen.
Wohin sie wohl geht? Ihres Weges. Sie schenkt mir ein Lächeln und flüstert mir etwas zu. Doch meine Ohren kennen ihre Worte noch nicht, denn sie spricht in der Sprache des Unbekannten. Nur mit dem Herzen kann ich bereits verstehen und ich weiss, dass es gut wird.
Kinder mit blauen Brombeerschnäuzchen grinsen verschmitzt, während stramm gekleidete Männer mit finsterem Gesicht kopfüber orientierungslos den Ästen alter Buchen entlang gehen. Ich weiss, dass es gut wird, und hänge mich, auch kopfüber, an einen besonders schönen Ast. Und kleine Libellen mit kleinen Brombeerschnäuzchen tanzen rundherum um meinen Kopf, als hätten sie nichts Besseres zu tun.
Text: Petra Meyer
Fotos: Annette Roemer
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